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Allseits wird Väterkarenz propagiert. Und trotzdem gibt es in Österreich nur etwa 5000 Männer, die in echter Väterkarenz sind. Ein verschwindend kleiner Prozentsatz. Es scheint so, als ob sich einerseits die Unternehmen gegen dieses Modell wehren und andererseits Berichte über steigende Arbeitslosenzahlen das ihre zur Zurückhaltung der Väter beitragen. Ist die Väterkarenz also schon tot, bevor sie wirklich anfängt?
Darauf gibt es aus meiner Sicht zwei Antworten: Beharren die Unternehmen weiterhin auf der Erhaltung des Status quo mit vorhandenen, mitunter aber überholten Spielregeln sowie der Pflege von Ritualen zur Erhaltung von Macht und Prestige, dann hat Väterkarenz, eben weil sie gerade dagegen verstößt, wenig Zukunft.
Genau in diesem Punkt liegt aber auch eine Chance für die und durch die Väterkarenz: Vaterkarenz unterscheidet sich im Normalfall von Mütterkarenz, denn Väter nehmen kürzere Auszeiten. In vielen Fällen sind Väter auch nur an einer temporären Reduktion und/oder einer Flexibilisierung ihrer Arbeitszeit interessiert. Es kommt also selten zu einem langfristigen "Totalausfall".
Wird eine Organisation als Maschine gesehen, dann ist natürlich jeder auch nur temporäre Ausfall eines Rädchens ein Problem. Ganz zu schweigen von Totalausfall eines Teils. Aber passt denn das Maschinenbild zu den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen? Vielfach wird davon gesprochen, dass der Wettbewerbsvorteil westlicher Unternehmen in Zukunft in Innovation und Wissen liegt. Allseits spricht man von Wissensgesellschaft. Diese wird aber anderer Organisationsformen bedürfen. Eigenschaften wie Flexibilität, Kreativität, Lernfähigkeit, aber auch Reflexion und Selbststeuerung werden wesentliche Bauelemente darstellen.
Und genau hier gilt es umzudenken: Wenn die Unternehmen akzeptieren, dass Väterkarenz für viele ihrer Mitarbeiter ein Anliegen ist, dann kann das als Chance genützt werden. Denn mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit sind diese Mitarbeiter konstruktiven Lösungen und Modellen nicht abgeneigt. Damit bietet sich eine Möglichkeit an, neue Modelle der Arbeitsweise, der Kommunikation und Entscheidungsfindung zu entwickeln und auf ihre Tauglichkeit hin zu überprüfen.
Gelingt es den Unternehmen, entsprechende Rahmenbedingungen für die Durchführung, aber auch für die Aufarbeitung der Erfahrungen zu schaffen, dann können sie auf diesem Weg anfangen, sich weiterzuentwickeln, sich vielleicht sogar ein Stück weit neu zu erfinden. Zumindest für einen gewissen Zeitraum des Experimentierens sollte dabei nicht die Kostenminimierung im Vordergrund stehen, sondern der Gedanke daran, dass erst die Ausbildung von Variationen Evolution ermöglicht.
Stephan Berchtold ist Unternehmensberater und Universitätslektor in Wien.