Piëch wollte seinen ehemaligen Ziehsohn loswerden, doch alle stellten sich gegen den Volkswagen-Patriarchen. | Ein außerordentlicher Vorfall, der einer Meuterei gleichkommt. Und eine einzigartige Niederlage für den Porsche-Nachfahren.
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Hamburg/Berlin. Das vermeintliche Todesurteil für den VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn wurde zum Eigentor für Ferdinand Piëch. Der Aufsichtsratschef und Enkel des Porsche-Gründers wollte sich seines Ziehsohnes Winterkorn entledigen und musste erkennen, dass sein Wort in wichtigen Fragen nicht mehr gilt. Die knappe Ansage Piëchs, wonach er zu Winterkorn auf "Distanz" sei, schien das Schicksal des Top-Managers besiegelt zu haben. Piëch, der am Freitag 78 Jahre alt wurde, ist mit der Vorgangsweise Winterkorns in vielen Bereichen nicht einverstanden und wollte den studierten Metallphysiker einfach abmontieren. Es wäre nicht der erste Kopf gewesen, der auf Anordnung des VW-Patriarchen rollt. Und noch nie hatte sich Piëch in der Vergangenheit in einer derart wichtigen Frage nicht durchsetzen können.
Meuterei in Wolfsburg
Das, was am Freitag verkündet wurde, kommt einer Meuterei gleich. Nicht nur, dass der technikverliebte Schwabe in seiner Position bleibt, sein Vertrag wird sogar verlängert: "Das Präsidium legt großen Wert darauf, dass Herr Professor Dr. Winterkorn seine Funktion als Vorsitzender des Vorstands auch weiterhin so aktiv und erfolgreich wie bisher verfolgt und hat hierbei die uneingeschränkte Unterstützung des Gremiums", hieß es am Freitag in einer Mitteilung. Das Präsidium werde dem Aufsichtsrat vorschlagen, Winterkorns Vertrag in seiner Februar-Sitzung nächstes Jahr zu verlängern.
Bei einem eilig einberufenen Treffen hatten sich zuvor am Donnerstag laut Insidern fünf Mitglieder im sechsköpfigen Präsidium des Aufsichtsrates gegen den Porsche-Enkel gestellt und Winterkorn explizit den Rücken gestärkt. Winterkorn sei der "bestmögliche Vorsitzende des Vorstands für Volkswagen", lautete der Beschluss. Damit war die größte Niederlage, die Piëch einstecken musste, besiegelt.
Das war nur von wenigen Branchenexperten erwartet worden, deutsche Medien hatten das Requiem auf Winterkorn bereits komponiert. Gegen den dezidierten Willen des "Alten" gehe bei Volkswagen nichts, hatte es geheißen. Auch wenn er formell nicht über eine Mehrheit im Aufsichtsrat verfüge, sei seine faktische Macht doch so groß, dass sich niemand ernsthaft wage, sich gegen ihn zu stellen.
Unklar bleibt freilich, für wie lange der Vertrag Winterkorns verlängert wird und wer nach dem geplanten Ausscheiden Piëchs dessen Platz einnimmt. Ursprünglich sollte das Winterkorn sein. Jetzt steht nur die Ansage des "Alten" im Raum, dass "an die Spitze des Aufsichtsrats und des Vorstands die Richtigen kommen", müssten.
Völlig unerwartet kam die Niederlage für Piëch freilich nicht. Schon knapp, nachdem er sich von Winterkorn distanziert hatte, bezeichnete der Sprecher des Porsche-Familienzweigs, Wolfgang Porsche, die Aussage seines Cousins als "Privatmeinung", das sei nicht abgesprochen. Die Familien Piëch und Porsche sind Mehrheitseigner am Konzern. Und der mächtige Konzernbetriebsratschef Bernd Osterloh stellte sich demonstrativ vor Winterkorn und lobte dessen Management-Qualitäten. Es wird gemutmaßt, dass der Betriebsrat Winterkorn zuvor wichtige Standort-Garantien abgerungen hat.
"Schlacht" noch offen
Dass der Konflikt zwischen Piëch und Winterkorn beendet ist, darf bezweifelt werden. Bei VW ist man jedenfalls bemüht, die Sache als gegessen darzustellen. "Die Diskussionen der vergangenen Woche waren nicht gut für Volkswagen", so der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, ebenfalls Mitglied im VW-Aufsichtsrat. Der Streit sei damit erledigt. Mit der Vertragsverlängerung für Winterkorn sei die Kontinuität an der Konzernspitze gewahrt. Für den Branchenexperten Ferdinand Dudenhöffer ist die "Schlacht" bei VW aber längst noch nicht vorbei. Wie es wirklich weitergehe, werde sich noch zeigen, sagt er.
Viele Anleger hätten einen Chefwechsel bei Volkswagen allerdings sehr gerne gesehen. 80 Prozent meinen laut einer Umfrage, dass ein neuer Mann an der Konzernspitze - dass eine Frau den Posten bekommt, gilt als wenig wahrscheinlich - gut für die Aktie gewesen wäre. Denn die Ertragskraft der Wolfsburger Kernmarke VW schwächelt.
Tatsache ist, dass Volkswagen unter Winterkorn rasant gewachsen ist. Seit er vor acht Jahren das Lenkrad bei den Wolfsburgern übernahm, wurden Porsche, die beiden Lkw-Bauer MAN und Scania sowie der Motorradhersteller Ducati in Europas größtes Auto-Imperium eingegliedert. Der Absatz des Konzerns mit zwölf Marken kletterte um zwei Drittel auf mehr als zehn Millionen Fahrzeuge. Der Umsatz stieg erstmals über 200 Milliarden Euro, für VW arbeiten fast 600.000 Menschen, knapp doppelt so viele wie vor sieben Jahren.
Schattenseiten
Bei dem enormen Wachstum haben sich allerdings auch zahlreiche Risse aufgetan. Bei der Wolfsburger Kernmarke fallen extrem hohe Entwicklungskosten an, von denen Marken wie Seat und Skoda profitieren. Vom Umsatz bleiben bei VW nur 2,5 Prozent Gewinn (siehe auch Grafik). Dazu kommt, dass Volkswagen unter einer zu großen Zahl an verschiedenen Ausstattungen und Fahrzeugmodellen ächzt. So muss man gegen hohe Kosten ankämpfen, kann die Autos jedoch als Massenhersteller nur zu moderaten Preisen verkaufen. Auch die anderen Pkw-Marken schöpfen laut Experten die Möglichkeiten nicht aus, die ein Konzern von der Größe Volkswagens hat. Zwar profitieren die Wolfsburger bei den Kosten immer mehr von der Baukastentechnik, auf der nun auch der neue Passat und der Familienwagen Touran basieren. Doch tanzt nach Wahrnehmung des Betriebsrats noch so manche Marke bei der Gleichteilestrategie aus der Reihe.
"Dicke Brummer" fehlen
Ein weiterer Schwachpunkt, der bei Aufsichtsrat-Chef Piëch für großen Unmut sorgt, sind die Verkaufszahlen auf dem US-Markt. Dort fristet Volkswagen ein Nischendasein - obwohl in Chattanooga ein neues Werk errichtet wurde. Doch der extra auf den Geschmack der Amerikaner abgestimmte US-Passat verkauft sich nur schleppend. 2014 konnte VW in den USA nur knapp 367.000 Stück verkaufen. Zum Vergleich: Rivale Toyota verkaufte 2,4 Millionen Fahrzeuge. Zudem hat VW im Land der Straßenkreuzer und Geländewagen keine entsprechenden Modelle im Angebot. Diese wären jetzt bei fallenden Ölpreisen wichtig. Die von Winterkorn angekündigten großen SUV kommen erst 2016/17. Bis dahin könnte VW vollends ins Abseits geraten. Auch in Südamerika schrumpft der Absatz dramatisch, weil sich VW zu lange auf dem Erfolg der vergangenen Jahre ausgeruht hat.
Weiteres Manko in der sonst so erfolgreichen Bilanz Martin Winterkorns: Seit Jahren versuchen die Wolfsburger vergeblich, im Billigsegment Fuß zu fassen. Die Hoffnungen, dies zusammen mit Suzuki zu schaffen, sind geplatzt, weil sich der japanische Kleinwagenspezialist von Volkswagen dominiert sah - aus der Partnerschaft wurde schließlich ein Rosenkrieg. Währenddessen machen andere wie etwa der französische Konkurrent Renault mit seiner Billigtochter Dacia das Geschäft.