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Präsident Chávez versucht vergebens, Inflation per Dekret zu bekämpfen. | Brasilien boomt dank Investitionen und konsumfreudiger Mittelschicht. | Caracas/Brasilia/Wien. Die Wirtschaft Venezuelas hängt an einer simplen Fieberkurve: Das Land fiebert invers zum Ölpreis. Die Einnahmen machen die Hälfte des Staatshaushaltes und ein Viertel der Wirtschaftsleistung aus. Somit sorgten die hohen Erdölpreise 2008 für ungeahnte Höhenflüge - nicht nur der Konjunktur: Auch die Inflation kletterte auf mehr als 30 Prozent. Die Ölhausse währte freilich nur kurz: Venezuela schafft es seit Jahrzehnten nicht, die Öleinnahmen in eine nachhaltige Entwicklung umzumünzen.
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Die strukturellen Defizite des Landes wurden durch die Wirtschaftskrise überdeutlich. Das Hauptmanko: Die Industrie ist nicht wettbewerbsfähig - abseits des schwarzen Goldes exportiert das Land praktisch nichts: 90 Prozent der Ausfuhren entfallen auf Öl.
Währungs-Kapriolen
Zudem sorgen die Kapriolen des Präsidenten Hugo Chávez für absurde Parallelwelten: Seit 2005 war die Landeswährung Bolívar fix an den US-Dollar gekoppelt - und krass überbewertet, was die Wirtschaft erstickte. Für den Alltag kristallisierten sich zwei Wechselkurse heraus: Ein offizieller und einer des Marktes.
Vor wenigen Wochen reagierte Chávez mit einer Währungsabwertung (offiziell "Anpassung") um fast 50 Prozent. Die Folge: Venezolaner stellten sich in langen Schlangen vor den Geschäften an, um ihre Bolivares rechtzeitig in handfeste Gebrauchsgüter umzuwandeln. Zwar entledigte sich Venezuela mit dem Währungsschritt schlagartig seines Defizits, die Teuerung wird aber weiter angeheizt: Schätzungen zufolge könnte die Inflation 2010 auf 35 bis 40 Prozent steigen.
Auf all diese Probleme reagiert Chávez mit einem Allheilmittel: Enteignungen. Unter Androhung der Zwangsverstaatlichung wurde den Firmen in den Tagen nach der Währungsabwertung verboten, die Preise anzuheben. Mehr als tausend Handelsgeschäfte wurden zeitweilig geschlossen, die französische Supermarktkette Exito schlicht enteignet. Schon Anfang 2003, als ein monatelanger Generalstreik das Land gelähmt hatte, hatte die Regierung ähnlich reagiert: Chávez brachte den staatlichen Erdölriesen Petroleos de Venezuela vollends unter seine Kontrolle - und entließ tausende Mitarbeiter.
Die skurrile Folge der Misswirtschaft: Das Land, das eines der ölreichsten ist und mit dem Fluss Orinoco über enormes Wasserkraft-Potenzial verfügt, muss den Strom rationieren. So rief Chávez die Bevölkerung auf, kürzer zu duschen: "Drei Minuten müssen reichen." Mitte Jänner kündigte er an, täglich vier Stunden lang den Strom abzuschalten. Der Plan hielt zwar nur einen Tag - kostete aber immerhin den Energieminister den Job.
Rohstoffe und Konsum
Ganz anders Brasilien, das mit einem Luxusproblem konfrontiert ist: Eine Spekulationssteuer soll die Flut an Geld eindämmen, die ins Land strömt - und zu einer für das Wachstum bedrohlichen Aufwertung der Landeswährung Real führen könnte. Grund für den Boom sind nicht nur die Sportgroßereignisse 2014 und 2016 (Seite 3): Schon 2007 hatte die Regierung von Luiz "Lula" Inácio da Silva ein Programm zur Wachstumsbeschleunigung aufgelegt: Bis 2010 sollen umgerechnet rund 250 Milliarden Euro in die Infrastruktur investiert werden - unter kräftiger privater Beteiligung.
Brasilien profitiert zwar vom Rohstoffboom und neu entdeckten Ölquellen, kann aber auch auf solide Inlandsnachfrage bauen: Dank geringer Inflation und kräftigen Lohnsteigerungen ist eine Mittelschicht entstanden, die nun den Konsum für sich entdeckt.