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Caracas/Wien - Für die Zeitungen in Caracas ist der 28. Mai längst der "Tag des großen Wahlmarathons". Dabei hatte Staatschef Hugo Chavez eigentlich mit einem Spaziergang gerechnet. Neben dem Parlament sowie Regional- und Kommunalvertretungen wird in Venezuela am Sonntag das Amt des Präsidenten, der auch Regierungschef ist, neu bestellt. Nach dem Erfolg bei der Abstimmung über die neue "bolivarische" Verfassung im Dezember 1999 schien die Wiederwahl des Ex-Fallschirmjägers nur ein Formalakt zu sein. Mit Francisco Arias Cardenas macht ihm aber ausgerechnet ein einstiger Mitstreiter beim Putschversuch von 1992 ernste Konkurrenz.
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Dank des Referendums hatte Chavez das Parlament aufgelöst und sich selbst mit größeren Vollmachten ausgestattet. Folgerichtig sollten die Neuwahlen vor allem seine eigene Macht und Popularität bestätigen. Deftig, wie seine Wortwahl nun einmal ist, spricht der "Linksnationalist" von der "Entscheidungsschlacht am 28. Mai". Bei der Nationalen Wahlkommission sind über 30.000 Kandidaten registriert. Außer dem Staatsoberhaupt werden 166 Abgeordneten des neuen Einkammerparlaments (Asamblea Nacional), 23 Gouverneure, 335 Bürgermeister und über 5000 Gemeinderäte gewählt.
Wegen der Dezember-Unwetter wurden die Wahlen auf Mai verschoben. Seither hat sich die politische Landschaft etwas verändert. Fernando Arias Cardenas stieg fast kometenhaft auf. Sein Trumpf ist pikanterweise gerade der Umstand, dass er einst beim Putsch gegen den sozialdemokratischen Präsident Carlos Andres Perez Seite an Seite mit Chavez stand und diesem als "seelenverwandter Bruder" galt. Erst im Februar sagte sich der 49jährige Oberst in Ruhe von Chavez los. Gegen den einstigen Streitgefährten zielen die Schimpfkanonaden des Präsidenten, der seine Gegner als korrupte abgehalfterte Politgarde diskreditiert, ins Leere. Als Gouverneur des Staates Zulia hat Arias zudem eine Bastion im Rücken. In der Metropole Maracaibo sind die Erdölbarone und damit das Geld zu Hause.
Die Taktik von Arias ist subtil: Sein Wahlkampf richtet sich nicht gegen Chavez selbst, sondern gegen dessen rechte Hand, Luis Miquilena. Miquilena ist Chef des Movimiento Quinta Republica (MVR), der wichtigsten Partei des Regierungslagers, und Vorsitzender des interimistischen Parlamentsausschusses ("Congresillo"). Er gilt als "Mentor" des Präsidenten. Arias wirft Miquilena Machtmissbrauch vor, weil er sich öffentliche Aufträge wie den Druck von einer Million Exemplare der neuen Verfassung zugeschanzt haben soll. Der Vorwurf der Korruption trifft die Regierung ins Mark, schließlich hatte sie lauthals verkündet, damit in Venezuela endlich Schluss machen zu wollen.
Umfragen bescheinigen Chavez zwar meist noch mehr als 50 Prozent, doch ist der Herausforderer deutlich im Kommen. Selbst wenn mancherorts etwas übertrieben wird. Dass die den Erdölpatronen nahe Zeitung "Nacional" Arias 69,8 Prozent prognostiziert, dürfte wohl dem Wunschdenken ihrer Leser entsprechen. Dennoch macht Arias Chavez ebenso zu schaffen wie die missliche Wirtschaftslage, die nicht seinen Prophezeiungen entspricht. So versprach er eine Senkung der Arbeitslosenrate, in Wahrheit ist sie deutlich gestiegen. Selbst Erhöhungen der Löhne für Beamte um 20 und der Staatspensionen um 44 Prozent dürften das Volk nicht beruhigen. Angesichts einer ständig schrumpfenden Wirtschaft glaubt kaum einer an eine Realisierung.
Wenige Tage vor dem "Marathon" wird in Caracas über die Gefahr von Wahlfälschungen gemunkelt. Beobachter der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) kritisierten massive Unregelmäßigkeiten. "Wir haben Gewalt, verbale Aggressionen, negative Kampagnen registriert", sagte der Leiter der Beobachtergruppe, Ruben Perina. Mittlerweile wurde unter anderem das Carter-Center als Wahlbeobachter zugelassen. Außenminister Jose Vicente Rangel macht sich hingegen keine Sorgen: "Hugo Chavez ist so beliebt, dass er keine krummen Sachen braucht."