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Die ganze Aufregung um die Macht von Fake-News und Social Media ist eine hysterisch angeheizte Nichtzuständigkeitsdiskussion.
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Nun ist es entschieden: Martin Schulz wechselt von Brüssel nach Berlin und tritt für die SPD gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel an. Die geplatzten Kanzlerträume Sigmar Gabriels sollen mit dem Chefsessel im Auswärtigen Amt abgefedert werden.
Und natürlich wird der russische Präsident Wladimir Putin die Wahlen nach seinem Gusto entscheiden, glaubt man den Auguren der künstlich angeheizten Diskussion. Schließlich will niemand die "falsche Regierung" verantworten; sie kann nur von Teufelshand inthronisiert worden sein. Doch es ist der Wähler, der in Österreich, Deutschland, den USA und überall das Kreuz auf dem Wahlzettel macht, und keine Geisterhand aus dem Kreml. Es ist schlicht wie bei einem Alkoholkranken: Er macht selbst die Flasche auf, nicht die Werbung.
Die ganze Aufregung um die Macht von Fake-News ist eine hysterisch angeheizte Nichtzuständigkeitsdiskussion. Seit Twitter, Facebook, Instagram & Co. existieren, gibt es auch den Hochgeschwindigkeitstransfer von Falschnachrichten rund um den Globus, und es ist bekannt, dass die Quellenprüfung unmöglich ist. Während des Arabischen Frühlings gab es Kostproben der Manipulationsmöglichkeiten im Netz. An den Nutzern der sozialen Netzwerke kann das nicht spurlos vorübergegangen sein, und falls doch: Spätestens seit Donald Trumps Regierungsantritt sollte auch dem Letzten klar sein, wie es läuft.
Eine Nichtzuständigkeitsdiskussion ist es deshalb, weil sich eben niemand mehr zuständig fühlt für das freiheitlich-demokratische Wertesystem, in dem wir seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wohlbehütet in Frieden und Freiheit leben. Viele Bürgerinnen und Bürger glauben, mit der auf Papier fixierten Verfassung seien alle Errungenschaften auf ewig in Stein gemeißelt. Doch das ist ein Irrtum, wie sich nun zeigt.
Ein Engagement für Freiheit in Frieden beginnt bei jedem selbst. Meinungen muss man sich bilden, nicht einbilden oder gar glauben. In den Medien und im Internet ist seriöse Quellenforschung möglich, man muss sich nur die Mühe machen. Dazu gehört, einander diametral gegenüberstehende Positionen von allen Seiten zu betrachten, sie abzuwägen, sie zu twittern - aber eben nicht nur zu twittern.
Die politische Klasse in allen Ländern versucht, sich in die Herzen potenzieller Wähler zu twittern, doch die Masse solcher Kontakte hat auch einen Verwässerungseffekt. Die Scharniere einer demokratischen Gesellschaft, die Toleranz und der öffentliche Diskurs, haben ihre Haltekraft verloren. Die Nachrichtenfluten in den sozialen Netzwerken verlaufen sich wie die tödlichen Fluten eines Tsunamis im Hinterland einer überschwemmten Küste. Die Debattenkultur ertrinkt.
Vor der Tür formiert sich der europäische Rechtspopulismus. Selbstbewusst werden die abstrusesten Statements hinausposaunt - die erschreckenden Inhalte werden nicht mehr herausgehört - und wo doch, werden sie als normativ faktisch hingenommen.
Es ist der Wähler, der das Kreuz macht. Er allein ist verantwortlich für seine Entscheidung. Diese Verantwortung kann er nicht an Twitter & Co. durchreichen.