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Verarmte Atommacht ballt die Faust

Von Michael Schmölzer

Politik

Nordkorea kurz vor Start einer Langstreckenrakete | Japan bringt Abwehrsystem in Stellung.


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Peking/Washington. Der Treibstofftank ist gefüllt, der Beobachtungssatellit montiert - die Rakete sei startklar, meldet die nordkoreanische Raumfahrtbehörde. Läuft alles nach Plan, wird die Unha-3 in den nächsten Tagen von der Militärbasis Tongchang-dong an der Westküste Nordkoreas abheben, in 500 Kilometer Höhe das Ostchinesische Meer queren und irgendwo vor den Philippinen ins Meer stürzen.

Der Start, der Nordkoreas Nachbarn in große Unruhe versetzt und international mit allergrößter Besorgnis beobachtet wird, soll zum 100. Geburtstag des Staatsgründers Kim Il-sung erfolgen. Ein Paukenschlag, um den als Gott verehrten Helden zu feiern und seinem Enkel Kim Jong-un, den Weg zur absoluten Macht zu ebnen.

In den umliegenden asiatischen Ländern herrscht Alarmstufe Rot. Japan, Südkorea, China, auch die USA warnen die unberechenbaren Machthaber in Pjöngjang. Tokio bringt Abwehrraketen in Stellung, um das nordkoreanische 30-Meter-Ungetüm im Notfall abzuschießen. Die USA sprechen von einer "Provokation". Man ist davon überzeugt, dass es den Kommunisten nicht darum geht, den friedlichen Satelliten "Strahlender Stern" ins All zu befördern. Vielmehr solle eine Trägerrakete getestet werden, die atomare Sprengköpfe mit sich führen und Alaska erreichen könnte. Südkorea reagiert besonders heftig auf den kriegerischen Akt: Seoul befindet sich offiziell immer noch im Krieg mit dem Norden. Südkoreas Geheimdienste berichten, im nordkoreanischen Punggye Ri würden Atomtests stattfinden. Die Tunnel für die Versuche seien schon gegraben, sagen die Agenten und verweisen auf Satellitenbilder.

Nordkorea hat bereits in den Jahren 2006 und 2009 atomare Sprengköpfe gezündet und damit weltweit für einen Aufschrei der Empörung gesorgt. Diesen Atomtests waren auch damals Versuche mit Langstreckenraketen vorangegangen. Die folgenden internationalen Atomgespräche mit Nordkorea verliefen ergebnislos im Sand. Spätestens seit 2008 herrscht absoluter Stillstand.

Ausweichmanöver

Asiatische Fluglinien haben bereits auf den angekündigten Raketenstart reagiert und ihre Flugrouten geändert. Rund ein Dutzend Flüge aus den USA, Japan und Südkorea würden an dem erwarteten Weg der Rakete vorbei gelenkt, erklärt eine Sprecherin der Philippine Airlines. Japan Airlines. All Nippon Airways kündigen ebenfalls an, die Routen von Flügen zwischen Tokio, Manila, Jakarta und Singapur zu verlegen.

Zweimal hat Nordkorea bereits versucht, einen Satelliten ins All zu befördern, gelungen ist es noch nie. Ob die Nordkoreaner jetzt dazu in der Lage sind, wird von Experten massiv bezweifelt. Es bestehe vielmehr die Gefahr, dass die Unha-3 von ihrem Kurs abkomme, vorzeitig ins Meer stürze oder etwa in japanischen Luftraum eindringe. Tokio will sich das nicht bieten lassen und ist bereit, die Rakete notfalls abzuschießen. Drei japanische Zerstörer mit Flugabwehrraketen an Bord sind im Ostchinesischen Meer stationiert, Regierungschef Yoshihiko Noda hat persönlich den Befehl gegeben, die nordkoreanische Rakete vom Himmel zu holen, sollte sie das japanische Festland gefährden. US-Patriot-Raketen sind in Tokio stationiert, das PAC-3-Abwehrsystem wurde an vier Standorten auf Okinawa installiert.

"Abschuss wäre Kriegsakt"

In Japan hat man bereits schlechte Erfahrungen mit nordkoreanischen Raketen. Immerhin ist schon 2009 eine über japanisches Territorium geflogen. Südkorea bereitet sich laut eigenen Angaben ebenfalls auf einen Abschuss der Unha-3 vor.

Das Regime in Pjöngjang reagiert auf derlei Ankündigungen mit martialischen Tönen: Jeder Versuch, den Satelliten abzufangen, werde als "Kriegsakt" aufgefasst, lässt das "Komitee für die Friedliche Wiedervereinigung Koreas" verlauten. Wer immer den Satelliten abfange oder seine Trümmer einsammle, werde von Nordkorea "sofort, resolut und erbarmungslos bestraft". In Pjöngjang will man offenbar nicht ausschließen, dass die Rakete schon über dem eigenen Staatsgebiet abstürzen könnte. Die Warnungen an die eigenen Leute sind durchaus ernst gemeint: Wer sich in Nordkorea den Anordnungen der Führung widersetzt, dem drohen Jahre in Lagerhaft oder gar die Todesstrafe. Nach außen wird freilich betont, dass kein Grund zur Besorgnis bestehe. Schließlich handle es sich um den friedlichen Transport eines Satelliten, die Region sei nicht gefährdet.

"Tun Sie das nicht!"

Die USA appellieren an Nordkorea, den Raketenstart nicht durchzuführen. "Unsere Position bleibt unverändert: Tun Sie das nicht!", so eine Sprecherin des Außenministeriums. In Washington weiß man sehr wohl, dass der Aufruf keine Wirkung entfalten wird. Der Raketenstart wäre ein Bruch internationaler Abkommen, so die US-Regierung, und würde das bitterarme Land weiter in die Isolation treiben. Die UN-Resolution 1874 besagt in der Tat, dass Nordkorea Atomwaffentests oder Abschüsse ballistischer Raketen untersagt sind.

Die USA versuchen die Gefahr, die von Nordkorea ausgeht, mit der Zuckerbrot-und Peitsche-Methode einzudämmen. Wenn das bitterarme kommunistische Land auf Atomversuche verzichtet, kann es im Gegenzug mit Wirtschafts- und Nahrungsmittelhilfe rechnen. Wenn nicht, werden die US-Lieferungen eingestellt. Eine derartige Maßnahme wurde erst vor wenigen Tagen über Nordkorea verhängt. Washington stoppte im Hinblick auf den bevorstehenden Raketentest Nahrungsmittellieferungen. 240.000 Tonnen, lebensnotwendige Versorgungsgüter für ein Land, das regelmäßig von Hungersnöten heimgesucht wird, gelangen nicht an ihr Ziel.

Die USA haben zuletzt China, den einzigen Verbündeten Nordkoreas in der Region, ersucht, auf die Führung in Pjöngjang einzuwirken. Peking zeigte sich in einer Erklärung pflichtschuldig "besorgt und beunruhigt" und rief die Internationale Gemeinschaft zur Zurückhaltung auf, um "eine Eskalation der Spannungen auf der koreanischen Halbinsel zu vermeiden". Die chinesische Polit-Elite ist derzeit mit sich selbst beschäftigt, es tobt ein erbitterter Machtkampf in den Reihen der KP. Entsprechend gering ist die Neigung, Nordkorea zurückzupfeifen. Auch Russland übt sich in Zurückhaltung: Der Kreml verurteilt die "Missachtung" der Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates und zeigt sich besorgt.

Gleichgeschaltet und isoliert

Nordkorea selbst will mit dem Raketenstart seine nationale Größe unter Beweis stellen, international Stärke beweisen und den Weg zum "Wohlstand für alle" ebnen. Stolz wurde die Unha-3 der Presse vorgestellt, sie gilt dem Regime als Beweis dafür, dass das Land technologisch weit fortgeschritten ist. 2012 soll, so verkündet es die Propaganda-Maschine durch tausende Lautsprecher, das Jahr sein, in dem Nordkorea in eine neue Ära eintritt und das Volk zum ersehnten Reichtum kommt.

In der Realität ist Nordkorea seit Jahrzehnten von Misswirtschaft geprägt. Einer kleinen privilegierten Schicht steht die Masse der verarmten Landbevölkerung gegenüber, die oft nicht einmal ihr Überleben sichern kann. Immer wieder dringen Berichte von Hungersnöten nach außen, Zehntausende sollen dabei ums Leben gekommen sein. Dafür ist das Land hochgerüstet und hat eine der größten Armeen weltweit. 1,2 Millionen Mann stehen unter Waffen, dazu kommen noch knapp 5 Millionen Reservisten.

Der Informationsfluss nach und aus Nordkorea ist spärlich. Das gleichgeschaltete Land ist international isoliert, Journalisten ist es nur schwer möglich, überhaupt eine Einreiseerlaubnis zu erhalten. Wird ein Europäer nach Nordkorea vorgelassen, so ist er permanent unter Aufsicht und hat nicht die Möglichkeit, sich frei mit der Bevölkerung zu unterhalten.

Mit dem Raketenstart will der neue starke Mann im Land, Kim Jong-un, seine Macht ausbauen. Zwei politische Treffen sollen zusätzlich dazu dienen, Kim Jong-un an die Stelle seines verstorbenen Vaters Kim Jong-il zu setzen. Heute, Mittwoch, treffen sich Delegierte der nordkoreanischen Arbeiterpartei, am Freitag folgt eine Sitzung der Obersten Volksversammlung. Dabei könnte Kim junior wichtige Parteiposten erhalten. Etwa jenen des Generalsekretärs der KP, diese Position würde ihn mit den diktatorischen Vollmachten ausstatten, über die schon sein Vater und Großvater verfügten. Danach könnte Kims Ernennung zum Vorsitzenden der Nationalen Verteidigungskommission - des mächtigsten Entscheidungsgremiums unter Kim Jong-il - erfolgen.