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Verbeugung vor dem Herrn

Von Veronika Eschbacher

Politik

Die Ukraine-Krise lenkt die Russen von internen Problemen ab.


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Moskau. "Wenn du heute in Russland jemandem sagst, das Land soll doch die Krim Krim sein lassen, dann sehen dich alle an, als ob du krank wärst", sagt Roman Petrov leise und schüttelt den Kopf. Der 38-jährige Moskauer ist nicht einverstanden mit dem Vorgehen der russischen Führung in der Ukraine-Krise. Kaum einer aber, sagt er, teilt seine Meinung. "Endlich können wir einmal stolz sein auf Präsident Putin, nachdem er in der Krim-Frage Flagge gezeigt hat", zitiert Petrov seine Freunde und verdreht die Augen. Und: "Genau diese Freunde gehen mir nun aus dem Weg, weil ich auf diese Aussage nicht gleich mit stehenden Ovationen reagiert habe."

Manche machen die "Bedrohung von außen" dafür verantwortlich, dass Russland sich verstärkt hinter seinen Präsidenten Wladimir Putin eint. Andere die gut geschmierte Propagandamaschine des Kreml. Faktum ist: Die Zustimmungsrate Putins in Russland hat mit 71 Prozent ein Drei-Jahres-Hoch erreicht. Freilich spielen hier auch noch die für das Land erfolgreich verlaufenen Olympischen Spiele in Sotschi mit. "Aber auch die Zustimmung zur Regierung hat sich gebessert und die Zahl derer, die finden, dass sich das Land in die richtige Richtung bewegt, ist wieder größer", sagt Gerhard Mangott, Russland-Experte von der Universität Innsbruck, zur "Wiener Zeitung".

Für das Gros der Russen scheint unumstritten, dass nicht Russland die jetzige Krise angezettelt hat. Vielmehr hätte das Land - und sein Präsident - gar keine andere Wahl gehabt, als sich die Krim zu holen. Begründet wird das meist damit, dass die russische Führung dadurch einen "Genozid" an den ethnischen Russen auf der Krim - oder wenigstens einen Bürgerkrieg im Land - verhindert hätte. Die Neofaschisten und Banditen, die nun die Führung in Kiew übernommen haben, würden die ethnischen Russen bedrohen und dubiose Oligarchen, die nun offizielle Posten erhalten hätten, das Land herunterwirtschaften. Und: Überbordende Freude hätte man mit der Krim ohnehin nicht. Man müsse doch jetzt zwei Millionen Menschen mehr durchfüttern als vorher. Es hört sich fast so an, als werde von einem Akt der Gnade und Barmherzigkeit gesprochen.

"Gescheiter und gerechter"

"Der Unterschied zu Westeuropäern und Amerikanern liegt darin, dass der Russe nicht immer rational ist", sagt Nikolaj Nikolskij, ein Unternehmer in Moskau. Er merke sich erlittene Kränkungen viel länger und würde nicht so schnell seinen Kurs wechseln, wenn ihm etwas opportun erscheint. Deshalb seien Gespräche über Sanktionen und andere Drohungen völlig kontraproduktiv. "Das funktioniert vielleicht mit anderen, aber nicht mit uns", sagt Nikolskij. Seine Freunde, die nie Anhänger Putins waren - eher im Gegenteil -, seien im letzten Monat das erste Mal in zwanzig Jahren zu richtigen russischen Patrioten geworden. "Sie alle finden, dass Putin gescheiter, gerechter und sachgemäßer handelt als alle anderen Staatsmänner in den USA oder der EU", erklärt Nikolskij.

Schuld an der Misere - und all den Kränkungen - sei Amerika. Mögliche politische Lösungen habe der Westen verschleppt und nun einen Konfrontationskurs eingeschlagen - "dadurch, dass sie immer mehr Raketen in unserer Nähe stationieren oder dass sie Feinde Russlands geschaffen haben, etwa im Baltikum oder jetzt in der Ukraine", so Nikolskij.

Nicht wenige sind davon überzeugt, dass von einer Okkupation durch russische Soldaten auf der Krim keine Rede sein kann, es seien außer den regulären Angehörigen der Schwarzmeerflotte keine zusätzlichen russischen Soldaten vor Ort. Die Menschen dort könnten nun erstmals über ihr Schicksal selbst bestimmen, demokratisch, in einem Referendum.

So haftet Putin russlandintern ein friedliebendes, rechtstreues Image an. "Er will auf keinen Fall irgendwelche militärischen Auseinandersetzungen", ist Arkadij, Geschäftsmann aus Nizhnij Novgorod, überzeugt. Putin werde keinen einzigen Schuss zulassen, wenn er nicht provoziert wird. Ein Eingreifen in der Ostukraine ist für niemanden in Russland ein Thema. "Der Präsident hat gesagt, dass er das nicht tun wird, also ist dem auch so", sagt Dmitrij, ein Angestellter aus Moskau. Zudem sei das gar nicht nötig. "Putin hat sich mit der Krim schon selbst ein Denkmal gesetzt, ein Platz in der Geschichte ist ihm sicher."

Petrov resigniert angesichts der Einstellung seiner Landsleute. "Ich verstehe nicht, dass sich so viele Russen mit dem Ukraine-Thema einlullen und ablenken lassen", klagt er. "Was man viel zu selten hört, ist doch, dass Russland selbst genügend Baustellen hat - es herrscht eine Autokratie wie vor 500 Jahren, das ganze Land ist eine Wirtschafts-, Sozial- und Umweltkatastrophe sondergleichen."

Und auch, wenn Petrov vielleicht den einen oder anderen Gleichgesinnten beim nächsten Friedensmarsch in Moskau am Samstag finden könnte, so muss Putin sich nicht fürchten. "Die Opposition ist zersplittert, zerstritten, in Haft oder unter Hausarrest", sagt Mangott.