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Verbraucht, verbaut und versiegelt

Politik
Im Konflikt um die Nutzung des Bodens gewinnt in Österreich sehr oft die Verbauung (im Bild die S 7 bei Fürstenfeld).
© Christoph Wisser

In diesem Jahrtausend liegt der Bodenverbrauch in Österreich bei mehr als 100 Quadratmetern pro Minute.


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Nicht immer ist mehr besser - je mehr Boden verbraucht ist, desto weniger Boden gibt es für Biodiversität, Nahrungsmittelanbau oder auch Erholungszwecke. Da Boden endlich ist, kommt es in Bezug auf die unterschiedlichen Ansprüche an die Nutzung zu Konflikten. In Österreich gewinnt bei solchen Konflikten sehr häufig der Bodenverbrauch, wie einmal mehr die Naturschutzorganisation WWF in ihrem Bodenreport 2023 feststellt: "Seit dem Jahr 2000 wurden in Österreich 1.300 Quadratkilometer verbaut, das ist mehr als dreimal die Fläche Wiens", erklärte Bodenschutzsprecher Simon Pories vom WWF Österreich am Dienstag.

Pro Minute verschwanden demnach mehr als 100 Quadratmeter Boden für Einkaufsmärkte, Parkplätze, Straßen, Gewerbegebiete und Logistikzentren unter Beton. Schuld daran seien unverbindliche Bodenschutz-Vorgaben und finanzielle Anreize, die Verbauung fördern.

Sogar in Gemeinden mit sinkender Bevölkerungszahl kommt es zu Ausweitungen der Siedlungsfläche, weil Wohn- und Gewerbegebiete an den Ortsrändern entstehen. Als besonders alarmierend wurde hervorgehoben, dass beim Neubau der Versiegelungsgrad von 40 auf mittlerweile fast 60 Prozent gestiegen ist.

2.100 Quadratkilometer für Verkehrsflächen

Aktuell sind in Österreich rund 5.800 Quadratkilometer verbaut, das entspricht fast der Hälfte der Landesfläche von Oberösterreich, erklärte der Experte. Davon sind 2.660 Quadratkilometer Bauflächen für Gebäude und ihre Nebenflächen verwendet, 2.100 Quadratkilometer Verkehrsflächen für Autobahnen, Straßen, Parkplätze und die Bahn, 670 Quadratkilometer für Industrie- und Gewerbebetriebe und 390 Quadratkilometer für Erholungsflächen (zum Beispiel Schwimmbäder) und Abbauflächen etwa zur Rohstoffgewinnung und für Deponien.

Laut Berechnungen des Umweltbundesamtes werden manche Städte und Ortschaften ihren Flächenverbrauch bis 2050 fast verdoppeln und dann jeden Quadratmeter ihres Gemeindegebietes verbaut haben, wenn sie sich mit dem derzeitigen Tempo ausbreiten, berichtete Franz Essl vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien. Besonders hohen Bodenverbrauch pflege man derzeit etwa in Wiener Neustadt (NÖ). "Wenn man weitermacht wie bisher, ist dort bis Ende der 2040er-Jahre alles bis an die Gemeindegrenzen komplett verbaut", sagte er.

Verbindliches Bodenschutzgesetz gefordert

WEssl sprach auch die Verkehrspolitik als "Problemkind der Klimapolitik" an, wo weite Teile der Politik noch immer hochrangige Straßenbauprojekte vorantreiben, was nicht mehr zeitgemäß sei. "Die ständige Erweiterung des Straßennetzes versiegelt wertvolle Äcker, sabotiert den Klimaschutz und führt am Ende zu mehr Verkehr. Das ist wissenschaftlich seit Jahrzehnten belegt, dennoch fehlt bisher ein Umdenken", ergänzte Pories die Kritik.

Um dem steigenden Bodenverbrauch Einhalt zu gebieten, bräuchte es ein verbindliches Bodenschutzgesetz, das bundesweit gilt und nicht durch Sonderbewilligungen und Ausnahmen aufgeweicht werden kann, sagte WWF-Programmleiterin Hanna Simons. Zudem sollte man Subventionen abbauen, die Verbauung begünstigen (etwa durch Ökologisierung der Wohnbauförderung), und Flächeninanspruchnahme verteuern, zum Beispiel mit einer "Versiegelungsabgabe".

Als ersten Schritt wird Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig aufgefordert, im Juni eine wirksame Bodenstrategie vorzulegen. Diese sollte bereits Ende 2022 präsentiert werden. Einen Entwurf, der dem WWF vorliegt, kritisiert Simons als "eine Kapitulation vor dem Flächenfraß", dem jede Verbindlichkeit und Ambition fehle. (bs)

WWF-Bodenschutzreport 2023