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Es sei kein Verbrechen gewesen sondern ein Unfall nach vorhergegangenem Kampf, und er sei unter Drogeneinfluss gestanden und könne sich daher auch nicht mehr genau erinnern, und deswegen habe er auch keine Hilfeleistung erbringen können, verteidigte sich Popsänger Bertrand Cantat in Bezug zu den tödlichen Kopfverletzungen seiner Freundin Marie Trintignant.
In der medialen Berichterstattung war zu lesen, dass Cantat über die Folgen seiner "Kampfhandlungen" bestürzt sei und sich bei der Familie Trintignants - immerhin war sie Mutter von vier Kindern! - entschuldige. Das ist aber auch das einzige, das ihn von den weniger prominenten Männern unterscheidet, die ihre Frauen und Lebensgefährtinnen zu Tode bringen. Er hat aber auch sicherlich einen PR-Berater oder zumindest Anwalt als Beistand, vermute ich, der ihm die Worte für den Gang in die Öffentlichkeit vorgekaut hat. Das hat der "kleine Mann von der Straße" nicht - aber jeder, der seinen Zorn nicht beHERRschen kann, sondern sprachlos wie ein Knecht die Fäuste sprechen lässt, bekommt so vom prominenten "Kollegen" Argumentationshilfen.
Es wird Sache der Gerichte sein zu urteilen, ob ein Tötungsvorsatz und damit Mord vorlag oder "nur" Totschlag. Trintignant ist tot und kann daher nicht aussagen, ob Cantat vielleicht gebrüllt hat "Ich bring Dich um!" - ein Satz, den nur zu viele Frauen zu hören bekommen, wenn sie sich nicht so "brav" sprich angepasst verhalten, wie man(n) es will. Und genau darum geht es: Frauen werden im Konfliktfall oft wie Kinder behandelt (Untergebene übrigens oft auch!) - und all die verbalen wie physischen Miss-Handlungen, die Eltern tätigen, wenn sie zornig sind, dass ihnen nicht "gefolgt" wird, kommen wieder zur Anwendung, oft in verstärktem Maß. Und damit gibt es keinen "Unfall" mehr - sondern nur mehr die Anmaßung einer als berechtigt fantasierten Gewalt - und genau diese Geisteshaltung ist es, die das eigentlich Verbrecherische ausmacht.
Weil wir alle so gern an die Idylle von Familien - oder Liebesbeziehungen glauben wollen, greifen wir nach jedem erklärenden oder entschuldigenden "Strohhalm", der uns als Rettung aus dem Chaos emotionaler "Ozeane" scheint. Ich formuliere oft: Der größte Vertrauensbeweis ist es, sich neben einen anderen Menschen ins Bett schlafen zu legen - wer weiß, was dem einfällt, wenn man im Tiefschlaf ist... Wäre ja kaum auszuhalten, die Nächsten und Liebsten als lebensbedrohende Gefahr zu erkennen. Dabei geht es ja nicht um die Person an sich, sondern um ihr Verhalten im Krisenfall, "wenn die Sicherungen durchbrennen". Und da agieren die meisten unbedacht nach ihren Vorbildern, und die stammen aus der eigenen Kindheit oder - aus Film und Fernsehen.
Auch bei den Schauspielern selbst. Ich entsinne mich noch gut des Entsetzens der Leser- bzw. Seherschaft, als der durch die männliche Hauptrolle im Kultfilm der späten 50er Jahre "Ich denke oft an Piroschka" neben Lieselotte Pulver in der Titelrolle bekannt gewordene Gunnar Möller seine Frau Brigitte, ebenfalls Schauspielerin, in einem Londoner Hotelzimmer mit einem Sessel erschlug. Er wurde damals von Visavis beobachtet. Damit kam eine Unfallversion nicht mehr in Frage. Der gebrochene Mann verbüßte meiner Erinnerung nach seine Strafe ohne Versuch, sich trickreich aus der "Affäre" zu ziehen: er tat Buße.
Buße tun - etwas, das in unserer erfolgsbesessenen Zeit verachtet wird. Dabei ist es DIE Form der Heilung: für die Person, der Wunden geschlagen wurden wie auch für diejenige, die Unrecht getan hat. Verantwortung übernehmen, das Unrechtmäßige einsehen und versuchen, es wieder gut zu machen... und zwar der Person gegenüber, die man verletzt hat. Deswegen halte ich es für falsch, wenn sich jemand stellvertretend entschuldigt - etwa der Papst für Priester, die sich an Anvertrauten vergreifen - aber genau so, wenn die Entschuldigung an Hinterbliebene gerichtet wird. Bereuen ist ein langwieriger Prozess, den erledigt man nicht schnell durch ein, zwei Sätze.
Denn hinter dem Bereuen einer Tat, was heißt: deren Folgen!, die "man nicht wollte", steht die Einstellung, mit anderen Menschen wie mit Sachen umgehen zu können - und das sehe ich als das eigentlich Sozialschädliche, das Verbrechen.