Vielen von uns scheint der Gedanke absurd und weit hergeholt, das Opfer eines Rechtsbrechers zu werden. "Es wird schon nichts passieren!" kann man oft von Mitmenschen hören, wenn man sie damit konfrontiert. Doch falls es passiert, ist professionelle Hilfe wirklich notwendig.
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Die junge Sekretärin Felicitas A. verabschiedet sich eines Abends von ihren Freundinnen nach einem Lokalbesuch im November des vergangenen Jahres und schlendert langsam durch eine kleine Gasse in einem Wiener Außenbezirk, als plötzlich ein Mann aus einem Hauseingang tritt, sie gegen die Wand stößt und ihr ins Gesicht schlägt. Die junge Frau fällt zu Boden und verliert das Bewusstsein. Erst im Rettungswagen kommt sie wieder zu sich. Sie hat furchtbare Schmerzen im Bereich der Nase und ihre Finger sind blutig. Der Rettungsarzt beruhigt Felicitas. Sie hat einen Nasenbeinbruch erlitten und ihre Handtasche wurde gestohlen.
Ihr Nasenbein konnte zwar wieder operativ korrigiert werden, aber der Schock hinterließ seelische Spuren. Seither traut sich die Frau abends nicht mehr alleine auf die Straße und leidet außerdem unter Schlafstörungen. Diese Situation kann sie ohne Hilfe nicht bewältigen und wendet sich schließlich an den "Weißen Ring". Eine Organisation, die Opfern von Verbrechen auf mehreren Ebenen helfen kann.
Der erste Schritt ist die Vereinbarung eines Erstgesprächs mit einem Psychotherapeuten, dem Felicitas zustimmt. Immer wieder muss sie an das grauenhafte Erlebnis denken. Die Gesprächstherapie, die Felicitas regelmäßig besucht, hilft ihr das Erlebte langsam zu verarbeiten. Eine Mitarbeiterin der Organisation, die Verbrechensopfern mit Rat und Tat zur Seite steht, setzte sich gemeinsam mit einem Rechtsanwalt auch erfolgreich dafür ein, dass die Sekretärin Ansprüche nach dem Verbrechensopfergesetz geltend machen konnte.
"In einem derartigen Fall wäre zu prüfen, ob die Dame Ansprüche bezüglich Verdienstentgang stellen kann. Auch ein Ansuchen zur Übernahme der Kosten für eine Psychotherapie wäre sinnvoll," klärt Marianne Gammer, die Geschäftsführerin der Bundesgeschäftsstelle des "Weißen Ringes" in Wien, auf.
Da das Bundessozialamt Ansprüche, die auf Grund des Verbrechensopfergesetzes gestellt werden, zu überprüfen hat und dies oft auch einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen kann, springt der "Weiße Ring" mit einem zinsenlosen Darlehen ein, das dem Opfer die sofortige psychologische Betreuung ermöglicht. Der Klient unterzeichnet eine Abtretungserklärung, dass die Kosten der Therapie vom "Weißen Ring" getragen werden, die von dieser Institution mit dem Bundessozialamt rückverrechnet wird.
"Der Vorteil dieser Vorgangsweise ist, je rascher die Therapie einsetzt, desto besser erholt sich das Opfer," führt Marianne Gammer weiter aus. Diese Art der Hilfe wird häufig eingesetzt und hat sich bewährt.
Im Jahre 2002 nahmen 2.500 Personen, die Opfer eines Verbrechens geworden waren, die Hilfe des "Weißen Ringes" in Form einer Erstberatung in Anspruch. Waren es im Jahre 2000 noch 125 Menschen, die über das erste Gespräch hinaus dringend weitere Hilfe benötigten, so stieg die Anzahl im Jahre 2001 auf 227 und 2002 auf 425 Frauen und Männer.
Die im Jahre 1978 von engagierten Journalisten, Rechtsanwälten und auch Politikern gegründete private, politisch unabhängige und gemeinnützige Institution finanziert sich ausschließlich aus Spenden und den regelmäßigen Beiträgen der 700 Mitglieder. Die ehrenamtliche Tätigkeit der 140 MitarbeiterInnen im gesamten Bundesgebiet ermöglicht unbürokratische und effiziente Hilfe sowohl auf emotionaler, als auch auf finanzieller Ebene. Menschen, die Opfer eines Verbrechens geworden sind, haben die Möglichkeit, nicht nur die Hilfe der Therapeuten sondern auch jene von Juristen für ein Orientierungsgespräch zu beanspruchen.
Eine der wichtigsten Leistungen dieser Institution wird als Prozessbegleitung - es ist dies die Begleitung von Opfern durch Anwälte und Therapeuten beim Strafverfahren - bezeichnet: Dabei wird dem Verbrechensopfer sowohl bei der Durchsetzung seiner rechtlichen Ansprüche, als auch mit therapeutischer Unterstützung geholfen, denn Opfer sind während eines Strafverfahrens sehr stark belastet.
Im Jahre 2000 waren es 17 Fälle, denen eine Prozessbegleitung bewilligt wurde. 2002 stieg die Anzahl auf 75 und 2003 konnten bis Ende September 156 Opfer die Prozessbegleitung in Anspruch nehmen. Die Kosten für AnwältInnen ebenso wie für die TherapeutInnen übernimmt dabei das Bundesministerium für Justiz, der "Weiße Ring" bezahlt die Koordinations- und die Administrationskosten.
Es ist ein beruhigendes Gefühl, dass es in Österreich eine Organisation gibt, die Menschen ungeachtet des Alters, des Geschlechts, der Nationalität sowie der Art des Verbrechens hilft, wenn sie Opfer von Rechtsbrechern geworden sind.
Spendenkonto: Weißer Ring, PSK 1.016.000, BLZ: 60.000
Weitere Informationen: Bundesgeschäftsstelle Wien, Marokkanergasse 3, 1030 Wien; Tel: 01/712-14-05; Fax: 01/718-83-74; E-Mail: office@weisser-ring.at; Internet: http://www.weisser-ring.at