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Bürger verfolgen im Fernsehen das | Geschehen mit. | Polizei hofft auf aufmerksame Seher. | London. (afp) "Reality-TV" ist eigentlich schon wieder auf dem absteigenden Ast - aber nicht in London. In der britischen Hauptstadt ist derzeit eine ganz besondere Art von Rund-um-die-Uhr-Live-Sendung äußerst beliebt: Im Stadtbezirk Shoreditch können die Einwohner neuerdings vom Wohnzimmersofa aus beobachten, was bei ihnen auf den Straßen so los ist - und mit auf Verbrecherjagd gehen.
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Per Direktleitung werden die Aufnahmen von 400 öffentlichen Videokameras auf die Fernsehbildschirme von Shoreditch übertragen. Die kommunale Verwaltung will mit dieser vor wenigen Tagen gestarteten Aktion die Verbrechensrate senken. Eingängiger Slogan des Überwachungssystems: "Kämpfe vom Sofa aus gegen Kriminalität."
20.000 mögliche Nutzer für Bezirks-Fernsehen
Die Bilder der angeschlossenen Kameras wechseln alle 30 Sekunden. Dazu bietet "Shoreditch TV" seinen 20.000 potenziellen Nutzern auch gleich noch eine Fotogalerie mit Namen und Konterfei all jener, die wegen unsozialen Verhaltens oder kleinerer Delikte derzeit unter Polizeiaufsicht stehen. Wer etwas Auffälliges sieht, kann gleich nachsehen, ob die beobachtete Person schon registriert ist. Unabhängig davon dürfen die Sofa-Detektive jederzeit anonyme E-Mails an die örtliche Polizei schicken. "Die Exekutive findet das wirklich gut", versichert Projektmanager Atul Hatwal, "erstmals können die Menschen der Polizei helfen. Sie können sofort online melden, wenn irgendwo randaliert wird, jemand sein Auto falsch parkt oder sich einfach nur schlecht benimmt."
Etwa 300 Mal täglich im Auge der Kamera
Weniger positiv sehen Bürgerrechtler diese Entwicklung. Schon jetzt gilt London als am intensivsten überwachte Stadt der Welt. Geschätzte 300 Mal wird jeder Londoner pro Tag von Kameras aufgenommen, egal ob auf öffentlichen Plätzen oder in Geschäften. Bisher konnten aber nur die Ladenbesitzer oder die Polizei die Aufnahmen sehen - das Sofa-TV geht nun darüber deutlich hinaus. "Letztlich kann jeder seinem Nachbarn hinterherspionieren", klagt die Bürgerrechtsbewegung Statewatch, "das fördert rachsüchtiges Verhalten". Und die Menschenrechtsorganisation Liberty befürchtet, dass vor allem junge Leute immer wieder zur Polizei vorbestellt werden. Längerfristig drohe eine nicht zu kontrollierende Bürgermiliz, die per Fernsehen alles und jeden überwache.
Diese Vorwürfe will die Mitte-links-Regierung von Shoreditch nicht gelten lassen. Die Kameras seien schließlich nur auf öffentliche Plätze und Straßen gerichtet, nicht auf Privatgrundstücke, unterstreicht Hatwal: "Man sieht durch die Kameras nur Dinge, die man als normaler Fußgänger auch sehen würde."