In seiner Zukunftsrede war Kanzler Nehammer gegen ein Verbot von Verbrennungsmotoren.
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Die Struktur der österreichischen Kfz-Industrie ist nicht wirklich vorteilhaft", sagt Heinz Högelsberger, der bei der Arbeiterkammer Wien im Bereich Umwelt und Verkehr arbeitet. "Wir bauen größtenteils Komponenten, nicht ganze Fahrzeuge, und die Konzernzentralen befinden sich oft nicht in Österreich."
Högelsberger hat zwischen 2018 und 2020 am CON-Labour der Universität Wien mitgearbeitet, das sich mit der großen Frage beschäftigt hat, inwiefern sich die österreichische Autoindustrie klimafit und sozial gerecht umbauen lässt. Seit sich Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in seiner "Zukunftsrede" gegen ein EU-weites Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2035 ausgesprochen hat, wird das Konfliktfeld zwischen dem Wirtschaftsmotor Autoindustrie und der notwendigen Klimawende in Österreich nun noch einmal deutlich intensiver diskutiert.
"Österreich ist das Autoland schlechthin", sagte Nehammer in seiner Rede in einem Büroturm hoch über den Dächern Wiens. "Nicht, weil so viele Menschen damit fahren. Sondern weil 80.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in mehr als 900 Betrieben ihre Zukunft gestalten." Nehammers Zahlen scheinen zwar etwas hoch gegriffen - die Wirtschaftskammer Österreich spricht von rund 71.000 Personen in 700 Unternehmen -, aber dass die Autoindustrie zu den wichtigsten Wirtschaftsfaktoren des Landes zählt, ist unbestritten.
Allerdings ist Österreich vor allem ein Autozuliefererland. So gibt es mit KTM nur einen heimischen Hersteller, der ganze Fahrzeuge produziert, die Quads und Sportwägen des oberösterreichischen Unternehmens sind zudem Nischenprodukte ohne große Stückzahlen. Die Fahrzeuge, die im Grazer Werk der aus dem Steyr-Daimler-Puch-Konzern hervorgegangene Magna Steyr vom Band rollen, werden dagegen in Lizenz für große ausländische Hersteller gebaut.
Das bedeutet auch, dass die großen Management-Entscheidungen - etwa wie schnell und wie stark eine ganze Produktpalette auf Elektroautos umgestellt wird - kaum in Österreich, sondern zum Beispiel von BMW, VW und Daimler in Deutschland getroffen werden: "Die Position der österreichischen Autoindustrie ist in dieser Hinsicht eine untergeordnete und die Zukunft der Unternehmen hängt stark von den Strategien der Endhersteller ab", heißt es dazu im Endbericht des CON-Labours.
Anders als in anderen Zulieferregionen wird in der österreichischen Autoindustrie jedoch sehr viel Forschung und Entwicklung betrieben. "In Bezug auf die Forschungs- und Entwicklungsquote liegt die österreichische Autoindustrie mit 3,5 Prozent des Branchenumsatzes auf Platz vier in Europa", heißt es in dem vom Klima- und Energiefonds der Bundesregierung finanzierten Forschungsbericht, in dem die Branche insgesamt als "mittlerer Industrieknoten" bezeichnet wird.
Verbrenner als Cash-Cow
Nehammers Beharren auf dem Verbrennungsmotor wird vor allem dann nachvollziehbarer, wenn man sich die Struktur der Branche näher ansieht. Deren "wirtschaftlicher und technologischer Kern" ist nämlich nach wie vor der Verbrenner: "Von den beinahe 15 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2017 entfielen beinahe
4 Milliarden Euro auf die Produktion von Verbrennungsmotoren und Getrieben. Dieser Teilbereich ist hochprofitabel und stellt das mit Abstand wichtigste Kompetenzfeld der Branche dar", heißt es im CON-Bericht.
Es ist davon auszugehen, dass sich das auch mit Stand 2023 nicht grundsätzlich geändert hat. Dazu kommt, dass sich die Elektromobilität in ganz Europa nach wie vor in einer Frühphase befindet und derzeit vor allem noch die Breite fehlt. Der Bereich, in dem die deutschen Hersteller bereits heute stark auf Elektroautos setzen, sind SUVs, da diese hohe Gewinnmargen abwerfen. Kostengünstige Einstiegsmodelle sollen dagegen erst in ein paar Jahr in großem Volumen auf den Markt kommen.
"In der Branche spricht man von zehn Jahren Rückstand zwischen Europa auf der einen Seite und China und den USA auf der anderen Seite", sagt Högelsberger, der auch Mitglied im Branchennetzwerk Austrian Automative Transformation Platform ist, in dem sich unter anderem die Fahrzeugindustrie, die Elektronikbranche sowie Arbeitnehmervertreter austauschen. Högelsberger erzählt auch, dass die Österreichische Post, die seit vorigem Jahr nur noch E-Zustellautos beschafft, diese zum Teil in China kaufen muss, da es in Europa derzeit keinen Hersteller gibt, der solche Fahrzeuge in großer Stückzahl produzieren kann.
Große Pfadabhängigkeiten
Entsprechend groß dürften laut den Autoren der CON-Studie auch die Herausforderungen für die heimische Autoindustrie bei der Umstellung auf alternativen Antriebe sein. "Viele der Unternehmen, in denen wir Interviews geführt haben, sind auf die Verbrennungstechnologie ausgerichtet", heißt es in der Studie. Hier bestehe eine "ökonomische und technologische Pfadabhängigkeit", die nicht zuletzt auch den Wahrnehmungshorizont der Beschäftigten bestimme. Da die österreichische Fahrzeugindustrie in ihrer Ist-Form vom Verbrenner abhänge, könnten sich viele Beschäftigten nicht vorstellen, wie es je anders sein könne.
"Wenn Österreich und Deutschland das Verbrennerverbot hinauszögern, wird das kein Game-Changer sein", meint Högelsberger. "Aber es wird später vielleicht ein böses Erwachen geben, wenn für den sozial-ökologischen Umbau wertvolle Zeit verloren gegangen ist."