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Verbund-Chef Strugl: "Wir brauchen Gaskraftwerke als Netzreserve"

Von Michael Ortner

Wirtschaft
Verbund-Chef Michael Strugl
© Christian Jungwirth

Der neue Verbund-Vorstandsvorsitzende Michael Strugl über Partizipation bei der Energiewende, das Risiko von Cyberangriffen, fehlende Speicherkapazitäten und die künftige Wasserstoffwirtschaft.


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Nach zwei Jahren als stellvertretender Vorstandsvorsitzender löste Michael Strugl mit Jahreswechsel Wolfgang Anzengruber an der Spitze des Stromkonzerns Verbund ab. Strugl will künftig noch mehr auf saubere Energien setzen.

"Wiener Zeitung": Österreich ist vergangene Woche knapp an einem Blackout vorbeigeschrammt. Welche Konsequenzen hätte ein flächendeckender Stromausfall für die österreichische Wirtschaft?

Michael Strugl: Der Worst Case, also ein länger andauernder, flächendeckender Stromausfall, hätte dramatische Auswirkungen. Wenn es ganz Österreich betreffen würde, kommen wir auf volkswirtschaftliche Schäden von über eine Milliarde Euro. Ich weiß, dass das jetzt so diskutiert wird, als wären wir am 8. Jänner daran vorbeigeschrammt. Die Verantwortlichen beim Stromnetzbetreiber APG sagen aber: So war es nicht. Aber es war ein erheblicher Störfall europäischer Dimension, der auch bei uns mit einem Frequenzabfall spürbar war. Die dafür vorgesehenen Mechanismus, das Betriebsniveau von 50 Hertz wieder zu erreichen, haben rasch funktioniert.

Den erneuerbaren Energien wird oft der Schwarze Peter zugeschoben. Sind sie für solche Störungen mitverantwortlich?

Für diesen Störfall waren sie nicht verantwortlich. Das hat andere Gründe gehabt. Die Ursachenforschung ist noch im Laufen. Aber natürlich führen der Ausbau und die Integration von immer mehr volatiler Erzeugung dazu, dass die Stabilisierung des Netzes schwieriger und komplexer geworden ist. Es muss also parallel zum Erneuerbaren-Ausbau zu einem Ausbau der Netze kommen. Wir haben mehr dezentrale Erzeugungsanlagen, die alle einen Netzanschluss brauchen. Infrastruktur und Speicherkapazität sind die Voraussetzungen für den Erneuerbaren-Ausbau. Die Versorgungssicherheit ist das wichtigste Gut.

Wie viel Strom kann man jetzt schon speichern und wie viel Speicher wird man in Zukunft brauchen?

Es gibt kurzfristige Schwankungen und Lastspitzen, die man mit Batteriespeichern abfangen kann. Beim Umbau des Energiesystems geht es um längere, saisonale Speicherung von Energie. Bei Photovoltaik und Wind erzeugen wir im Sommer zu viel und im Winter haben wir zu wenig. Das heißt, wir müssen etwa 10 Terawattstunden (TWh) vom Sommer in den Winter schieben. Mit den bestehenden Hydrospeichern können wir derzeit etwa ein Drittel darstellen. Zwei Drittel würden fehlen, wenn wir die nationalen Ausbaupläne mit 27 TWh zusätzlicher erneuerbarer Energie verfolgen. Wir brauchen also zusätzliche Speicherkapazitäten. Bei Hydrospeichern wird uns irgendwann die Topografie ausgehen. Wir werden auch andere Technologien wie Gasspeicher brauchen. Das sind enorme Herausforderungen, auch weil es sich für den Markt rechnen muss. Die Politik wird darüber nachdenken müssen, welche Marktmodelle oder Marktanreize es für Speichertechnologien geben kann.

Der Anteil von Windkraft und Sonnenenergie bei Verbund soll bis 2030 ein Viertel ausmachen. Gegen Erneuerbare regt sich aber immer wieder Widerstand aus der Bevölkerung. Wie wollen sie die Menschen überzeugen?

Ja, das ist richtig. Wir haben auch schon solche Erfahrungen gemacht bei Leitungsprojekten. Das ist eine Entwicklung, die wir nicht nur in Österreich sehen. In Deutschland ist der Ausbau der Windkraft auch deswegen massiv ins Stocken geraten. Ich glaube, dass es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, das Problembewusstsein zu schärfen: Das Energiesystem braucht den Ausbau der Infrastruktur, wenn wir nicht vulnerabel sein wollen. Breiter gesellschaftlicher Konsens ist eine wichtige Voraussetzung, dass die Energiewende gelingen kann. Daneben geht es darum, Verfahren partizipativ zu gestalten. Das heißt etwa, betroffene Grundbesitzer, auf deren Land Leitungen oder Windräder gebaut werden sollen, einzubinden und zu Beteiligten zu machen. Die Prozesse müssen transparent, entsprechende Gutachten zur Verfügung gestellt werden. Aber am Ende des Prozesses muss es eine Entscheidung geben. Und diese Entscheidungen müssen in einer vernünftigen Zeit möglich sein, damit Investoren Planungssicherheit haben. Sonst wird dieser Ausbau nicht funktionieren.

100 Prozent sauberer Strom 2030 - wird man dieses Ziel erreichen?

Wir haben bei der 380-kV-Leitung in Salzburg auch diese Erfahrung gemacht: Es hat viel länger gedauert als geplant und war dadurch auch viel teurer als vorgesehen. Wenn sich diese Entwicklung so fortsetzt, wird es schwierig werden, das Ziel 2030 zu erreichen. Es ist ohnedies hoch ambitioniert. Zehn Jahre sind keine lange Zeit. Die Verfahren sind ein zeitkritischer Faktor.

Bedeutet mehr sauberer Strom in Zukunft auch mehr Kosten für die Endverbraucher?

Es ist möglich, dass es auch teurer werden kann für den Endkunden. Die Logik ist eine sehr einfache: Wenn der Erneuerbaren-Ausbau gefördert wird, man spricht von einer Milliarde Euro Volumen pro Jahr, dann muss das am Ende des Tages natürlich der Stromkunde mit den entsprechenden Abgaben und Zuschlägen bezahlen.

Windräder und Photovoltaik erzeugen nicht nur sauberen Strom, sondern auch Unmengen an Daten. Wächst dadurch das Risiko für Cyberangriffe?

Ich würde sagen, dass die kritische Infrastruktur insgesamt sensibel ist. Und daher haben wir umfassende Vorkehrungen für die Sicherheit unserer Anlagen und Systeme getroffen. Und natürlich: Je komplexer und je digitalisierter das Gesamtsystem ist, desto mehr muss man in diese Sicherheit investieren. Das ist allen Stakeholdern bewusst.

Was sind abseits des Erneuerbaren-Ausbaus Ihre Zielsetzungen?

Wir wollen generell die Infrastruktur ausbauen. Mit dem Erwerb des Gasnetzes Gas Connect Austria sind wir der führende österreichische Infrastrukturplayer. Wir sehen uns auch als Partner der Industrie in der Dekarbonisierung durch unsere Technologie. Ich möchte, dass Verbund das Leitunternehmen in der Energiewende ist.

Dekarbonisierung und Erwerb eines Gasnetzes: Widerspricht das nicht einander?

Gas ist eine Brückentechnologie, die die Energiewende unterstützt. Wir brauchen eine Netzreserve, also Gaskraftwerke wie etwa das Verbund-Kraftwerk in Mellach. Es gehört nicht zur Strategie von uns, dass wir neue Gaskraftwerke bauen, aber Gas ist ein Faktor in der Energiewende. Längerfristig werden grüne Gase ein ganz wesentlicher Teil der Energiewende sein. Wasserstoff ist das beste Beispiel dafür. Die Experten sind sich einig, dass eine Wasserstoffwirtschaft entstehen wird. Und der günstigste Transport wird über Pipelines abgewickelt. Das bedeutet, dass wir diese Infrastruktur brauchen.

Zur Person: Michael Strugl (57) ist seit Jänner Vorstandsvorsitzender der Verbund AG und Präsident vom Verband der E-Wirtschaft Oesterreichs Energie. Von 2013 bis 2017 war er Landesrat und Mitglied der oberösterreichischen Landesregierung. Er hat Jus und Wirtschaftswissenschaften studiert.