)
EU-Staaten sichern Frankreich "alle in ihrer Macht stehende Hilfe" zu.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Brüssel. Frankreich will Beistand - und es soll diesen von den EU-Partnern erhalten. Nach den Terrorattacken in Paris hat die Regierung die anderen Unionsmitglieder um Unterstützung gebeten, die auch eine Entlastung bei den französischen Militäreinsätzen im Nahen Osten und Afrika bringen soll. Sie beruft sich auf Artikel 42 des EU-Vertrags von Lissabon, der festlegt, dass "im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates" diesem die anderen Länder "alle in ihrer Macht stehende Hilfe" schulden.
"Frankreich kann nicht alles auf einmal schaffen: die Einsätze in der Sahel-Zone, der Zentralafrikanischen Republik, der Levante und im Libanon - und darüber hinaus das eigene Territorium absichern", erklärte Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian bei einem Treffen mit seinen Amtskollegen in Brüssel. Die Minister sagten ihre Unterstützung zu.
Damit soll erstmals eine Beistandsklausel zur Anwendung kommen, mit der die Gemeinschaft zu einem Verteidigungsbündnis wird. Eine ähnliche Verpflichtung sehen auch die Nato-Verträge vor. Allerdings geht die EU-Regelung weiter, weil sie von Schuldigkeit spricht. Im Abkommen der Militärallianz hingegen ist von Beistand in einem Ausmaß, den die Partner "für erforderlich erachten", die Rede. Dieser Bündnisfall wurde nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA ausgerufen, was unter anderem den US-Einmarsch in Afghanistan zur Folge hatte.
Ungewisser Militäreinsatz
Welche Maßnahmen die EU-Staaten nun ergreifen werden, ist freilich unklar. Frankreich könnte in jedem Land um bilaterale Hilfe ansuchen. An Deutschland habe es aber noch keine konkrete Bitte oder Forderung gestellt, sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen nach einem Gespräch mit ihrem Amtskollegen. Doch wies sie auch darauf hin, dass die Regierung in Berlin das militärische Engagement in Mali sowieso ausweiten möchte, wo Frankreich seit 2013 gemeinsam mit den dortigen Truppen einen Kampf gegen Islamisten führt. Deutschland ist auch am Einsatz gegen den sogenannten Islamischen Staat im Irak beteiligt.
Andere Länder hingegen schließen derartige Unterstützung aus. Dazu gehört Finnland, das sich auf seinen Status als neutrales EU-Mitglied beruft. "Direkte militärische Hilfe" könne es daher nicht geben, betonte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Parlament in Helsinki, Ilkka Kanerva. Vorstellbar sei lediglich polizeiliche Kooperation oder zivile Zusammenarbeit zur Krisenbewältigung.
Ähnlich könnte auch Österreich argumentieren. Zunächst ist aber abzuwarten, welchen Bedarf Paris in Wien anmeldet, hieß es aus dem Verteidigungsministerium. Danach werde "auf politischer Ebene" eine Entscheidung getroffen. Laut Ressortchef Gerald Klug könnte Frankreich beispielsweise Kräfte aus EU-Auslandseinsätzen herausnehmen, die dann durch EU-Staaten ersetzt werden müssten.
Spielraum bei Budgetdefizit
Offen ist ebenfalls, wie Frankreich bei seinen Militäreinsätzen in Syrien unterstützt werden könnte. Der britische Premier David Cameron würde sich zwar gern beteiligen und die Luftangriffe über den Irak hinaus auf Syrien ausweiten. Doch braucht er dafür die Zustimmung des Abgeordnetenhauses. Mit einem ähnlichen Plan ist Cameron 2013 im Parlament noch gescheitert.
Als Verbündeter bietet sich aber nun Russland an. Präsident Wladimir Putin will bei der Bombardierung mutmaßlicher Ziele der Extremistenmiliz IS in Syrien mit Frankreich enger zusammenarbeiten. Er habe die russische Marine angewiesen, zu diesem Zweck die Besatzung des französischen Flugzeugträgers "Charles de Gaulle" zu kontaktieren, sagte Putin. Kommende Woche trifft sich das Staatsoberhaupt mit seinem Amtskollegen François Hollande.
Die kooperative Haltung hätte Moskau wohl kaum eingenommen, wenn Frankreich den Nato-Beistand in Anspruch genommen hätte. In dem Fall hätten auch die Verhandlungen in Wien über ein Ende des Krieges in Gefahr sein können, weil Russland - aber auch der Iran - eine Einbeziehung der westlichen Militärallianz als Provokation hätten empfinden können. Außerdem könnte Frankreich im Nato-Bündnisfall das Oberkommando verlieren.
In finanzieller Hinsicht wiederum kann die Regierung in Paris jedenfalls auf ein Entgegenkommen der EU-Kommission setzen. Premier Manuel Valls hat nämlich schon klargemacht, dass sein Land wegen steigender Ausgaben für die nationale Sicherheit die EU-Vorgaben für das Budgetdefizit verfehlen werde. EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici zeigte Verständnis: "In diesem schrecklichen Moment" habe der Schutz der Bürger in Frankreich und Europa Vorrang.