Soziologin Helga Amesberger erklärt, wie das Verbot des Straßenstrichs im Wohngebiet die Arbeitsbedingungen der Sexarbeiterinnen verschlechtert hat.
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"Wiener Zeitung": Mit dem jetzigen Gesetz scheint kaum jemand zufrieden zu sein. Was muss sich ändern?
Helga Amesberger: Der Gesetzgeber hat vernachlässigt, autonomes Arbeiten von Frauen zu ermöglichen. Hausbesuche wurden zwar legalisiert, aber Wohnungsprostitution ist nach wie vor nicht erlaubt. Wir müssen die Rechte der Sexarbeiterinnen stärken. Mit dem neuen Prostitutionsgesetz in Wien ist das nicht geschehen, bis auf ganz wenige Ausnahmen, wie etwa die Möglichkeit zur Erstberatung und Registrierungsbegleitung durch NGOs. Man wollte die Arbeitsbedingungen verbessern, indem Bordelle mehr Auflagen betreffend Hygiene und Bautechnik erfüllen müssen, aber ich weiß nicht, ob das greift. Jedenfalls wurden dadurch weniger Bordelle bewilligt, wodurch sich die Anzahl der legalen Arbeitsplätze verringert hat. Die Verdrängung des Straßenstrichs an den Stadtrand hat ebenfalls zur Reduktion legaler Arbeitsplätze beigetragen.
Was sind die Konsequenzen?
Die Bordellbetreiber haben viel mehr Macht und Handlungsspielraum, sie können unter mehr Frauen auswählen. Die Konkurrenz unter den Frauen ist größer, etwa für ältere ist es sehr schwierig geworden. Außerdem haben die Betreiber und Betreiberinnen mit dem neuen Gesetz in Wien einige Verpflichtungen und Befugnisse bekommen, die die Autonomie der Sexarbeiterinnen einschränken. Es wäre wichtig, die Sexarbeiterinnen in die Gesetzesausarbeitung und -entwicklung einzubinden, denn sie wissen, wie es im Milieu läuft, und nicht der Beamte, der das Gesetz schreibt. Der mag vielleicht Erfahrungen aus der Perspektive des Kunden haben, aber nicht aus der Perspektive der dort Arbeitenden.
Mit dem neuen Wiener Prostitutionsgesetz wurde auch eine Steuerungsgruppe eingeführt, um die Auswirkungen des neuen Gesetzes zu beobachten und Lösungen für Probleme zu erarbeiten. Ist das passiert?
Die Steuerungsgruppe schaut sich arbeitsbereicheübergreifend die Auswirkungen des Wiener Prostitutionsgesetzes an. Das ist prinzipiell ein guter Ansatz, aber ihre Handlungsmöglichkeiten sind eher gering. Beispielsweise scheitern die Vorschläge zu den Erlaubniszonen an den Widerständen der Bezirke. Dabei wäre die Umsetzung der Erlaubniszonen wichtig. Außerdem sind in der Steuerungsgruppe Sexarbeiterinnen nicht vertreten.
Mit welchen Problemen sind Sexarbeiterinnen konfrontiert?
Mit Ausnahme der auf der Straße sexuelle Dienstleistungen anbahnenden Frauen haben Sexarbeiterinnen sehr hohe Fixkosten, entweder die Miete im Laufhaus, oder sie müssen bis zu 50 Prozent ihrer Einnahmen an die BordellbeteiberInnen abgeben. Daher war die Straßenprostitution bei manchen Frauen eine sehr beliebte Form der Sexarbeit.
Durch das de-facto Verbot des Straßenstrichs hat eine Verdrängung stattgefunden. Wo sind die Frauen hinverschwunden?
Wir wissen nicht, wo die Frauen hingegangen sind. Ein Teil wird wohl nun in Bordellen arbeiten, ein Teil wird die Stadt verlassen haben, aber ebenso ist anzunehmen, dass viele in den illegalen Bereich (Wohnung, Straße) gewechselt haben. Früher waren es bis zu 200, derzeit sind es maximal 40 Frauen, die legal auf der Straße arbeiten.
In Wien gibt es 3300 registrierte Sexarbeiterinnen, die in Bordellen, Laufhäusern oder am legalen Strich arbeiten, im illegalen Bereich ist die Zahl viel höher. Wie viele Frauen sind es tatsächlich?
Aufgrund der hohen Fluktuation und der Doppelzählungen gibt es nicht einmal im registrierten Bereich verlässlichen Zahlen. Für den illegalen Bereich gibt es keinerlei Schätzungen, die auf profunden Kriterien basieren. Zudem sagen diese Zahlen nichts darüber aus, wie viele Personen pro Tag sexuelle Dienstleistungen anbieten.
Neben einer anderen Prostitutionspolitik sei auch eine andere Migrations- und Arbeitsmarktpolitik notwendig, schreiben Sie in ihrer Studie. Was meinen Sie damit?
Das betrifft vor allem Drittstaatsangehörige und Personen, die eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Und wenn Grenzen geschlossen sind, braucht es Vermittler. Das fördert die Abhängigkeit. Wenn Frauen in einem anderen EU-Land einen Aufenthaltsstatus hatten, konnten sie bis zum Frühjahr 2012 in Wien legal arbeiten. Dann meinte die Polizei, dies widerspreche den Visa-Bestimmungen. Von einem Tag auf den anderen konnten sich diese Frauen nicht mehr als Sexarbeiterinnen registrieren lassen, die Fremdenpolizei wurde eingeschaltet etc. Das hatte schwerwiegende Folgen. Dies ist ein Beispiel dafür, wie durch Gesetze bzw. deren Umsetzung die Mobilität von Sexarbeiterinnen forciert wird.
Hier wird die Debatte zu Sexarbeit sehr ideologisch geführt: die Befürworter der Legalisierung sprechen von autonomer, selbstbestimmter Sexarbeit. Ihnen wird von den Verbots-Unterstützern vorgeworfen, sie würden ausblenden, dass es Menschenhandel gibt.
90 Prozent der legal arbeitenden Sexarbeiterinnen sind Migrantinnen. Sie alle mit Menschenhandel gleichzusetzen, wie das häufig geschieht, wäre eine Bankrotterklärung für die Strafverfolgung und würde bedeuten, dass sämtliche Gesetze wirkungslos sind. Der Großteil der Frauen, die wir interviewt haben, hat sich dezidiert für die Sexarbeit entschieden. Sie haben abgewogen, was sich mehr auszahlt: ihr bisheriger Job oder die Sexarbeit. Rund zehn Prozent der Interviewpartnerinnen haben gesagt, sie sind hinters Licht geführt worden. Ihnen wurde etwa ein Job als Kellnerin versprochen. Anderen wurde der Pass oder der Großteil der Einnahmen abgenommen. Doch der Begriff Menschenhandel ist problematisch, denn er verschleiert, dass Ausbeutung auch im freiwilligen Bereich stattfindet: überlange Arbeitszeiten, die Abgaben an die Betreiber und Betreiberinnen, durch Druck jeden Kunden zu bedienen.
Von Zuhältern?
Auch Zuhälterei ist ein problematisches Wort und schwierig zu definieren. Wo beginnt Zuhälterei? Sind Familienangehörige, Partner, Vermittler eines Arbeitsplatzes in jedem Fall Zuhälter, wenn sie Geld von einer Sexarbeiterin erhalten? Kann beispielsweise tatsächlich von Zuhälterei gesprochen werden, wenn der Mann den Haushalt führt und die Kinderbetreuung übernimmt und die Frau mittels Sexarbeit für das Haushaltseinkommen sorgt? Viele Gesprächspartnerinnen verwehrten sich dagegen, diese als Zuhälter zu bezeichnen.
Derzeit herrscht große steuerliche Unsicherheit?
Das ist ein großes Desaster. Wie die neue Regelung (seit 1. Juli, Anm.) umgesetzt werden soll, ist mir schleierhaft. Jedes Bordell soll geprüft werden, ob die Frauen dort selbständig oder unselbständig arbeiten. Gleichzeitig wird das individuell für jede Sexarbeiterin geprüft.
In Wien gab es nie ein Rotlichtviertel wie in Amsterdam oder in Hamburg. Ist das ein Vor- oder ein Nachteil?
Meines Erachtens ist das ein Vorteil, denn die größten "Unruhen" in der Bevölkerung gibt es aufgrund der Sichtbarkeit, wenn es sich auf einen Stadtteil konzentriert. Die Durchmischung ist auch gut, weil es dadurch seltener zu Monopolstellungen einzelner Bordellbetreiber und -betreiberinnen kommt. Es ist aber schwieriger für die Polizei, zu kontrollieren.
Gibt es in Österreich Bestrebungen, Sexarbeit völlig zu verbieten und aus der Gesellschaft zu verdrängen?
Das System in Österreich ist stark regulativ, aber das trifft nicht nur auf Österreich zu. Regulative Systeme laufen Gefahr der Überregulierung, und dann treten abolutionistische Aspekte stärker in den Vordergrund. Insofern besteht die Gefahr, dass Verbote und Einschränkungen zunehmen sowie die Ausübung der Sexarbeit stark erschweren.
Ist die wöchentliche Gesundheitskontrolle ein solcher Aspekt?
Österreich ist das einzige europäische Land neben Griechenland, in denen es verpflichtende Untersuchungen auf Vorliegen von Geschlechtskrankheiten gibt, und selbst in Griechenland müssen sich die Frauen nur alle zwei Wochen untersuchen lassen. Die Sexarbeiterinnen sind den Untersuchungen nicht generell abgeneigt, aber sie sagen, die Intervalle seien zu kurz, sie wollen sich die Ärzte selber aussuchen und sie wollen Ordinationszeiten, die mit ihren Arbeitszeiten kompatibel sind. Die Frauen haben ja Interesse daran, dass sie gesund bleiben. Aber auch wenn die Verpflichtung einmal fallen sollte, braucht es ein ausreichendes und günstiges Angebot an Gesundheitsvorsorge für diese Berufsgruppe (in Salzburg, Linz und Graz kostet die Untersuchung 35 Euro, Anm.) Ein weiteres Beispiel für abolitionistische Regelungen im Wiener Prostitutionsgesetzt ist die Kundenbestrafung: Wenn Kunden sexuelle Dienstleistungen außerhalb legaler Zonen anbahnen, können sie bestraft werden. Gleichzeitig zeigt die Anzeigenstatistik, dass nach wie vor in erster Linie Sexarbeiterinnen für die Anbahnung im öffentlichen Raum bestraft werden.
Wenn von Sexarbeit gesprochen wird, dann immer nur von Frauen. Angeblich ist jeder fünfte Mensch, der der Sexarbeit nachgeht, ein Mann. Wie erkläen Sie sich das?
Das hat damit zu tun, wie die Gesellschaft Sex von Männern und Frauen handhabt. Männliche Sexualität unterliegt kaum der gesellschaftlichen Kontrolle. Ihre Zahlen kann ich nicht bestätigen, in Wien sind nur rund70 Männer registriert. Das heißt, dass die Mehrzahl der Sexarbeiter illegal tätig ist.
Für die Vergleichsstudie zur Prostitutionspolitik in den Niederlanden und in Österreich sind in Österreich 85 Sexarbeiterinnen interviewt worden. Die Interviews wurden von Mitarbeiterinnen der NGOs LEFÖ und maiz geführt. Die Studie wurde von der Platform 31, den Städten Den Haag, Rotterdam und Utrecht sowie der Stadt Wien finanziert.
Zur Person
Helga Amesberger (Ja. 1960) ist Ethnologin, Soziologin und Politikwissenschafterin und arbeitet am Institut für Konfliktforschung in Wien. Im November 2014 erscheint ihr Buch "Sexarbeit in Österreich. Ein Politikfeld zwischen Pragmatismus, Moralisierung und Resistenz"