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"Vereinigte Staaten der Stagnation"?

Von Thomas Seifert

Wirtschaft

Eine internationale Studie erklärt die Austeritätspolitik der EU für gescheitert.


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Wien. Wird die EU zu den Vereinigten Staaten der Stagnation? Dieses Gespenst malen die Autoren des Independent Annual Growth Survey (iAGS) in ihrem "Unabhängigen Jahreswachstumsbericht" an die Wand.

Fazit ihres Berichts: Die derzeitige Austeritätspolitik führe zu einem Mehr an sozialer Ungleichheit, einer Verschlechterung der Lebensqualität und Langzeitarbeitslosigkeit. Zudem birgt sie Deflationsgefahr in sich.

In dem von der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament geförderten Studie kommen die Autoren der Französischen ofce (observatoire français des conjonctures économiques), des dänischen Economic Council of the Labor Movement und des gewerkschaftsnahen deutschen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) zum Schluss, dass der Preis für die Wiedererlangung des Vertrauens der Finanzmärkte in die Euro-Länder zu hoch gewesen sei. "Just zu dem Zeitpunkt, da der Fiskalmultiplikator ein Rekordhoch erreichte, wurde eine historisch beispiellose Konsolidierung herbeigeführt", schreiben die Autoren. Olivier Blanchart, Chef-Ökonom des Internationalen Währungsfonds IMF hatte ja bereits vor über einem Jahr für Aufsehen gesorgt, als er in einer Randnotiz anmerkte, dass die negativen ökonomischen Auswirkungen staatlicher Ausgabenkürzungen (=Fiskalmulitplikator) als zu gering eingeschätzt worden sind.

Der Preis der Austerität

Die Studienautoren befürchten einen Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit, "was wiederum in struktureller Arbeitslosigkeit und geringerem Wachstumspotenzial für die Zukunft münden könnte."

Schätzungen würden nahelegen, dass 64 Prozent des Anstiegs der Arbeitslosigkeit in der EU (die Arbeitslosigkeit hat in der Eurozone den Rekordwert von 12,2 Prozent erreicht) sich schließlich in Langzeitarbeitslosigkeit umwandelt. Nach in der Studie angestellten Berechnungen droht 2015 im Euroraum eine Langzeitarbeitslosenrate von über 5,5 Prozent. Zwei Millionen der 5,5 Millionen Arbeitslosen unter 25 Jahren gelten bereits als langzeitarbeitslos, Ungleichheit und Armut würde infolge dieser Entwicklungen steigen. "Während sich die Zukunftsaussichten weiter verdüstern, verlangt das Damoklesschwert der Austerität nach Plänen für einen weiteren Abbau der Sozialsysteme, obwohl Letztere die letzte Bastion im Kampf gegen die explosionsartig zunehmenden Ungleichheiten darstellen", klagen die Studienautoren. Ein Aufschieben ("Backloading") statt eines Vorziehens ("Frontloading") der Sparmaßnahmen hätte nach Meinung der Autoren der Studie in den meisten Ländern die Rezession der Jahre 2012 und 2013 vermieden - bei gleichen Schuldenständen bis 2032. Die Arbeitslosigkeit wäre heute um 1,7 Prozentpunkte niedriger als 2013 und 2014. In einigen Landern wäre der Unterschied sogar noch größer: Backloading in Spanien hätte um mehr als 3,7 Prozent weniger Arbeitslosigkeit bewirkt.

"Aggressivere EZB"

Die Studienautoren fordern in ihrem Papier eine "aggressivere" Geldpolitik der EZB - freilich unterstützt durch "eine glaubwürdige Verpflichtung der Mitgliedstaaten zu stabilen öffentlichen Finanzen" - sowie einen "gut gestaltenen Schuldentilgungsfonds". Eine Mindestlohnnorm in der EU würde wiederum die Deflationsgefahr eindämmen, zudem gelte es, die öffentlichen Investitionen anzukurbeln: "Es ist höchste Zeit, dass wir aufhören, unsere gemeinsame Zukunft zu zerstören und stattdessen wieder darin zu investieren", ist in der Studie zu lesen.