Vor 70 Jahren wurde nicht nur der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, den Vorboten der EU, abgeschlossen. Am selben Tag löste auch die UNO den Völkerbund ab. Der Befund zu deren Entwicklung ist durchwachsen.
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Am 18. April vor 70 Jahren wurde der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) abgeschlossen, woraus dann letztlich, über mehrere Zwischenstufen, die heutige Europäische Union entstand. Am selben Tag löste sich der Völkerbund bei seiner letzten Sitzung in Genf auf, und seine Befugnisse gingen auf die Vereinten Nationen über.
Dieser doppelte Jahrestag bietet willkommenen Anlass zur Auseinandersetzung mit der ursprünglichen Konzeption und der weiteren tatsächlichen Entwicklung der beiden großen Institutionen EU und UNO.
Zunächst zur EU-Vorläuferin EGKS: Diese kam in Umsetzung des Schuman-Plans zustande, als die Gründerstaaten Belgien, BRD, Frankreich, Italien, Luxemburg und Niederlande am 18. April 1951 in Paris den EGKS-Vertrag abschlossen. Ihm folgten der Euratom-Vertrag über die Europäische Atomgemeinschaft und der EWG-Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft.
Die Ziele gerieten mitunter in Widerstreit
Nach und nach entwickelte sich daraus dann - teils durch neue Verträge, teils durch Vertragsänderungen, teils aber auch durch schlichtes Auslaufen von Verträgen (so, wie etwa der EGKS-Vertrag im Jahr 2002 auslief) - die heutige EU als supranationaler Zusammenschluss europäischer Staaten.
Ganz anders die UNO: Sie ist ein zwischenstaatlicher Zusammenschluss auf weltweiter Ebene, also gerade kein supranationales (überstaatliches) Gebilde. Ihre Aufgaben sind gemäß der UNO-Charta die Sicherung des Weltfriedens, die Einhaltung des Völkerrechts, der Schutz der Menschenrechte und die Förderung der internationalen Zusammenarbeit.
Diese Ziele gerieten aber im Laufe der Zeit mitunter in Widerstreit: Während zum Beispiel Militäreinsätze nach der UNO-Charta ausschließlich mit einem Mandat des UNO-Sicherheitsrates zulässig wären, kamen immer mehr solcher Einsätze auch ohne Mandat des Sicherheitsrates zustande - man denke bloß an den Jugoslawienkrieg oder an den Irakkrieg. Entspricht das der strikten und gleichmäßigen Einhaltung des Völkerrechts?
Dieser Widerstreit kommt auch im pointierten Begriff des "humanitären Krieges" deutlich zum Ausdruck. Kann denn je ein militärischer Einsatz humanitär und ohne Rechtfertigung durch die UN-Charta gerechtfertigt sein? Ebenso wie der Zweck nicht die Mittel heiligt, rechtfertigt die bloße Berufung auf humanitäre Zwecke noch nicht einen Militäreinsatz.
Doch auch zur EU stellen sich kritische Fragen nach ihrer Entwicklung im Vergleich zu ihrem ursprünglichen Konzept: Ausgangspunkt war die Idee der Gründungsväter Konrad Adenauer und Charles de Gaulle von einem "Europa der Vaterländer", in dem alle Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer Souveränität gleichberechtigt zusammenarbeiten sollten.
Darauf beruhte auch die Festlegung des Einstimmigkeitsprinzips für Beschlüsse und des damit einhergehenden Vetorechts einzelner Mitgliedstaaten: Nur Beschlüsse, über die sich alle Mitglieder einig waren, konnten gefasst werden, denn es sollte kein Mitgliedstaat "überrollt" werden.
Die Budgetverwendung ist hinterfragenswert
Davon wurde aber mit der Zeit ebenso abgegangen wie von der erwähnten ursprünglichen Konzeption von einem "Europa der Vaterländer". Und zwar durch eine Entwicklung hin zu Entscheidungen in vielen Belangen mittels des Mehrheitsprinzips (in diversen Ausformungen), wodurch einzelne Mitgliedstaaten überstimmt werden konnten, und durch eine Entwicklung in Richtung eines supranationalen Gebildes unter Übertragung vieler einzelstaatlicher Souveränitätsrechte auf die EU. Manchen schwebt sogar das Ziel einer Art Vereinigter Staaten von Europa mit einer zentralen Regierung vor. Ob dies im Sinne der Erfinder ist, mag bezweifelt werden.
Auch die aktuellen, konkreten Herausforderungen, mit denen sich die EU konfrontiert sieht, sind nicht oder nur unzureichend gelöst: Die Budgetverwendung ist angesichts schwammiger Programme mit hohem Geldmitteleinsatz, des übergroßen EU-Verwaltungsaufwands, verfehlter Zentralbankpolitik durch Geldschwemme und gar Tendenzen einer Transferunion, gelinde formuliert, hinterfragenswert.
Der Schutz der EU-Außengrenzen als notwendige Voraussetzung für die Auflösung von Binnengrenzen scheint schlicht löchrig.
Ein West-Ost-Gefälle innerhalb der EU tritt immer mehr (mitunter sogar offen) zutage. Nicht wenige erblicken darin schon konkrete Anzeichen für ein Auseinanderbrechen der EU.
Tendenz zur moralisierenden Bevormundung
Hinzu kommt schließlich auch noch das völkerrechtlich nicht zu rechtfertigende Problem der Tendenz zur moralisierenden Bevormundung einzelner Staaten: Unter Berufung auf selektiv herausgegriffene, abstrakte Werte einer nicht klar definierten, internationalen Wertegemeinschaft und unter oft nicht nachgewiesener Behauptung angeblicher Abweichungen von selbigen mischt man sich munter in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten ein. Zudem versucht man, ihnen die jeweils eigene Meinung aufzuerlegen. Das widerspricht nicht nur der UNO-Charta ebenso wie dem Grundgedanken der staatlichen Souveränität auf weltweiter Ebene, sondern es ist auch innerhalb der EU befremdlich, weil sich ja auch dort die Frage nach dem Ausmaß einzelstaatlicher Souveränität stellt.
Insgesamt fällt daher der Befund zur Entwicklung der großen Institutionen UNO und EU durchwachsen und die Prognose für deren Zukunft eher trübe aus. Ob diese beiden großen Institutionen den von ihnen jeweils angestrebten Zielsetzungen tatsächlich gerecht werden, ist - leider - zu bezweifeln.
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Adrian Eugen Hollaender hat an der Universität Wien zum Doktor der Rechtswissenschaft promoviert und beim ehemaligen VfGH-Präsidenten Karl Korinek als Doktorvater zum Thema "verfassungsrechtliche Rechtsschutz-Determinanten" dissertiert. Er unterrichtete Menschenrechte an der Universität Wien und war langjährig als Rechtsanwalt im innerstaatlichen und internationalen Menschenrechtsschutz tätig, bis er Anfang 2021 emeritierte.