Präsident übt massive Kritik an Griechenland - "Problem liegt in der EU."
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Zwei Monate hat eine politische Krise das EU-Beitrittsland Mazedonien gelähmt, am Wochenende einigten sich die Parteien unter Vermittlung Brüssels auf einen "Pakt für die EU-Eingliederung". Die Opposition verpflichtet sich, die Parlamentsarbeit nicht mehr zu boykottieren und an den Kommunalwahlen am 24. März teilzunehmen. Gleichzeitig kam es in der mazedonischen Hauptstadt Skopje zu gewalttätigen Protesten slawischer und albanischer Jugendlicher, es gab Festnahmen und Verletzte. Die "Wiener Zeitung" hat kurz vor den entscheidenden Ereignissen mit dem mazedonischen Präsidenten Gjorge Ivanov gesprochen.
"Wiener Zeitung":Herr Präsident: Das "Alliance of Civilizations Forum" in Wien, an dem Sie teilgenommen haben, soll Brücken zwischen der islamischen Welt und dem Westen bauen. Mazedonien ist ein Paradefall, weil es hier eine christlich-slawische Mehrheit und eine albanisch-muslimische Minderheit gibt. Das Land war 2001 am Rande eines Bürgerkrieges. Wie ist das Verhältnis zwischen den Volksgruppen jetzt?Gjorge Ivanov: Es war ein Konflikt in Mazedonien 2001, aber der war aus dem Kosovo importiert. Wir haben eine lange Tradition der Toleranz. Die religiösen Führer finden immer einen Weg, miteinander ins Gespräch zu kommen.
Es scheint in Ihrem Land aber ein Problem mit politischer Toleranz zu geben. Seit dem 24. Dezember weigert sich die Opposition, das Parlament zu betreten. Es kam an diesem Tag zu gewalttätigen Auseinandersetzungen im Hohen Haus und außerhalb. Was haben Sie als Präsident der Republik Mazedonien unternommen, um die Krise zu lösen?
Wir haben tatsächlich die Situation, dass ein Teil der Opposition die Arbeit des Parlaments blockiert. Auch wollen sie die Kommunalwahlen, die in wenigen Wochen stattfinden sollen, boykottieren. Aber: Ein Teil der Opposition ist im Parlament und nimmt aktiv an den Sitzungen teil. Auch die Behörden funktionieren und das Parlament arbeitet. Es werden Gesetze beschlossen, die nur eine einfache Mehrheit brauchen.
Wie viele Abgeordnete streiken also?
42 nehmen nicht an den Sitzungen teil. Es sind insgesamt 123 Abgeordnete. Zwei Albaner-Parteien sind bei den Sitzungen anwesend.
Aber was ist am 24. Dezember eigentlich genau passiert?
Die Opposition hat versucht, die Verabschiedung des Budgets zu blockieren. Sie hat 1500 Abänderungsanträge gestellt. Die Forderung war, das Budget um 200 Millionen Euro zu reduzieren. Die Regierung zeigte sich kompromissbereit und wollte eine Reduktion um rund die Hälfte der geforderten Summe vornehmen. Als es zur Abstimmung kam, besetzten einige Abgeordneten der Opposition den Plenarsaal. Man wollte die Sitzung verhindern. Die Abgeordneten der Regierung wählten einen anderen Eingang zur Parlamentshalle, dann kam es zur Konfrontation. Die Sicherheitsleute haben dann beschlossen, den Parlamentssprecher aus dem Saal zu bringen, um eine physische Attacke auf ihn zu verhindern. Alle Abgeordneten, die die Arbeit des Parlaments behinderten, wurden aus dem Saal gebracht. Auch die Journalisten wurden von den Sicherheitsleuten hinausgeworfen. Wir haben das öffentlich bedauert. Seit diesem Zeitpunkt boykottiert die Opposition das Parlament. Ich habe dann ein Meeting am 12. Jänner einberufen zwischen dem Führer der Regierungsparteien und der Opposition. Aber es ist so gut wie nichts dabei herausgekommen.
Immerhin ist Mazedonien EU-Beitrittsland und die Kommission hat sich wegen der politischen Probleme sehr besorgt gezeigt. Erweiterungskommissar Stefan Füle hat zuletzt einen Besuch in Skopje abgesagt. Ist das jetzt eine Überreaktion seitens der EU-Kommission?
Füle war aber im Jänner in Mazedonien. Ich habe die Bildung einer Expertenkommission angeregt, die die Ereignisse des 24. Dezember untersuchen soll. Die Regierung hat den Vorschlag akzeptiert, die Opposition nicht. Die Anliegen der Opposition sollten in einem breiter gefassten Rahmen diskutiert werden, etwa die verlangten Abänderungen zum Budgetgesetz. Die Opposition hat den Vorschlag nicht akzeptiert.
Mazedonien ist jetzt seit 2005 EU-Kandidat, aber nichts bewegt sich. Grund ist, dass Griechenland blockiert, weil man in Athen den Namen Mazedonien nicht akzeptieren will und Gebietsansprüche fürchtet. Ist da irgendeine Hoffnung auf Lösung des Streits in Sicht?
Die verfahrene Situation in meinem Land ist Resultat einer Frustration, weil wir jetzt seit sieben Jahren EU-Kandidat sind. Wir am Balkan sind am effektivsten, wenn wir Ziele vor Augen haben. Wenn uns ein Datum gegeben worden wäre, an dem die Beitrittsgespräche beginnen - dann wäre das alles nicht passiert. Das ist, wie wenn man ein Fahrrad fährt. Man bewegt die Pedale und fährt es. Wenn man nicht in die Pedale tritt, fällt man. Wenn wir kein Ziel der EU vor Augen haben, dann fangen wir an, uns mit uns selbst zu beschäftigen. Vier Jahre in Folge erhalten wir positive Berichte der EU-Kommission. Wir haben die Vorgaben erfüllt und Fortschritte gemacht. Aber Griechenland will nicht akzeptieren, dass Mazedonien ein Datum für den Beginn der Verhandlungen erhält. Die Verhandlungen umfassen 30 Kapitel oder mehr, und Griechenland kann uns bei jedem blockieren. Wir werden auch bei unserem Versuch blockiert, der Nato beizutreten. 1995 hat Griechenland mit Mazedonien ein vorläufiges Abkommen geschlossen, wobei sich Griechenland verpflichtet, Mazedonien nicht zu blockieren. Wir haben den Fall vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag gebracht, wir haben recht bekommen. Aber niemand respektiert das Urteil des Internationalen Gerichtshofes.
Haben Sie das Gefühl, in dieser Frage von der EU im Stich gelassen zu werden? So, als wäre gar kein Interesse da, Mazedonien in die EU einzubeziehen? Warum agiert die EU nicht als Vermittler zwischen Mazedonien und Griechenland?
Erweiterungskommissar Stefan Füle war sehr innovativ und kreativ. Er hat einen Beitrittsdialog mit Mazedonien auf höchster Ebene initiiert. Aber die Griechen verhindern. Das hat für Griechenland aber keine Konsequenzen. Sie können mit dieser Blockade die nächsten hundert Jahre weitermachen.
Aber wieso können sie das? Weil in Brüssel das Interesse fehlt?
Das genau ist der Punkt. Keiner ist willens, auf Griechenland Druck auszuüben. Die Griechen haben es geschafft, die Sache so zu präsentieren, als wären ihre Probleme die Probleme der Europäischen Union. Das Gleiche ist der Fall mit der Nato. Die Interpretation, dass ein Beitritt Mazedoniens Probleme schaffen würde, ist nicht richtig. Das Problem liegt in der EU, Griechenland ist ein Mitgliedsstaat in der EU.
Die EU ist derzeit mit zahlreichen Problemen beschäftigt. Wirtschafts- und Eurokrise, jetzt Stillstand in Italien. Sind die Mazedonier unter diesen Auspizien überhaupt noch erpicht darauf, der Europäischen Union beizutreten?
Die europäische Idee hat für die Länder des Balkans eine andere Bedeutung als für die restlichen Länder. Die Grundidee der EU ist der Friede. Wir am Balkan brauchen genau diese Friedens-Dimension. Die Länder des Balkans durchlebten dann eine Periode des Friedens, wenn es keine Grenzen gab. Da war die Pax Romana und die Pax Osmana. Jetzt haben alle Balkan-Länder demokratische Regierungen, jetzt ist die Zeit reif für eine "Pax Europeana". Die ökonomische Lage Mazedoniens ist besser als in manchen Ländern innerhalb der Europäischen Union. Wir haben ein sehr geringes Budgetdefizit. Und die griechischen und mazedonischen Zivilgesellschaften arbeiten so gut zusammen wie noch nie zuvor. Der Streit um den Namen ist ein Problem der politischen Eliten aus der Zeit, als Jugoslawien kollabiert ist. Es gibt ein Buch von dem griechischen Journalisten Takis Michas, "Unholy Alliance", in dem er den Plan beschreibt, Mazedonien zwischen Serbien und Griechenland aufzuteilen. Das ist ein Milosevic-Plan.
Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Österreich und Mazedonien charakterisieren?
Als exzellent.
Zur Person
Gjorge Ivanov studierte Jus, später schlug der die Universitätslaufbahn ein. 2009 wurde er als Kandidat der Regierungspartei zum mazedonischen Präsidenten gewählt.