Schlüsse aus der Reflexionsphase sind Chefsache. | Befürworter des Vertragswerks in der Mehrheit. | Brüssel. Schlüsse aus der einjährigen Reflexionsphase über den Verfassungsvertrag zu ziehen, bleibt der schwierigste Punkt für die Staats- und Regierungschefs am EU-Gipfel am 15. und 16. Juni. Weder die EU-Botschafter noch die Außenminister sollen mit dem heiklen Thema zuvor befasst werden. Klar ist lediglich, dass die Nachdenkzeit verlängert werden soll und eine Lösung bis 2009 wünschenswert wäre. Darüber hinaus halten sich die Österreicher als derzeitige Ratsvorsitzende bedeckt.
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Auch über die Beschlüsse über künftige Erweiterungen und speziell den Stellenwert der Absorptionsfähigkeit der EU sind die Mitgliedsstaaten noch uneins.
Beim Verfassungsvertrag gebe es grundsätzlich zwei Strömungen unter den EU-Staaten, erläuterte ein hochrangiger Diplomat. Eine größere Gruppe wolle das tiefgekühlte Vertragswerk weitestgehend bewahren und bei gegebener Zeit auftauen. Dazu gehörten die 15 Mitgliedsstaaten, die den Verfassungsvertrag bereits ratifiziert haben sowie Irland und Finnland. Fünf Länder sympathisierten dagegen mit dem so genannten "Rosinenpicken", also Teile des Vertrags de facto schon einmal vorzuziehen.
Das Problem sei, dass "jeder verschiedene Rosinen habe" und mit jeder "gepickten" der Druck für eine Gesamtlösung sinke. Neben den Referendumsverlierern Frankreich und den Niederlanden seien das jene Länder die "nicht ratifizieren wollen": Großbritannien, Polen und Tschechien. Auch die EU-Kommission hatte unter dem Arbeitstitel "Europa der Resultate" dazu tendiert, Vorschläge in diese Richtung vorzulegen. So sollten Entscheidungen über die gemeinsame Justiz- und Innenpolitik auf EU-Ebene gehoben werden. Das hatten die Österreicher in ihren ersten Entwürfen der Ratsbeschlüsse auch recht prominent aufgenommen. Nun soll nur noch "geprüft werden, wie der Entscheidungsprozess verbessert werden" könne.
Unantastbarer Vertrag?
Auch der Bericht des ehemaligen französischen Außenministers Michel Barnier über einen gemeinsamen uniformierten EU-Katastrophenschutz wurde im Laufe der Verhandlungen der EU-Botschafter in seiner Bedeutung deutlich herabgestuft. Tendenziell haben sich scheinbar die Bewahrer des tiefgekühlten Vertrages bisher durchgesetzt. Dessen Unantastbarkeit relativiert inzwischen aber auch der amtierende Ratsvorsitzende Wolfgang Schüssel. "Jedem ist klar, dass diesem Text etwas hinzutreten muss", sagte er zur "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Das könne ein Name, ein interpretatives Element oder die Methode der Annahme sein.