Laut offiziellen Fahrplan hätte der Verfassungsentwurf, über den die Iraker am 15. Oktober abstimmen sollen, schon am 15. August unter Dach und Fach sein müssen. Obwohl Schiiten und Kurden am Montag sich grundsätzlich geeinigt haben, erfolgte am Donnerstag der dritte Aufschub und jetzt wächst der Druck der USA auf die schiitische Mehrheit im Irak, den Sunniten, die sich als große Verlierer des Verfassungsprozesses sehen, mit Zugeständnissen entgegenzukommen.
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Schiitische Proteste, Bild: AP Die Stolpersteine auf dem schwierigen Weg des Verfassungsprozesses liegen in ethnischen, wirtschaftlichen und religiösen Fragen.
Die Schiiten, die mit 60 bis 65 Prozent die Mehrheit der Bevölkerung stellen und unter Saddam Hussein grausam unterdrückt worden waren, sind im Süden des Irak konzentriert. Die Auseinandersetzungen der letzten Tage zeigen aber, dass auch sie nicht ein homogener Block sind.
Im Norden des Landes leben die Kurden, die etwa 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung stellen. Wie die Schiiten treten auch sie, die sich größtenteils zum sunnitischen Islam bekennen, für eine Föderalisierung des Irak ein. Damit wollen die Kurden ihre Autonomie, die sie de facto nach dem ersten Irak-Krieg im Jahr 1991 erreicht haben in der Verfassung festschreiben. Für kurdische Unabhängigkeitsforderungen der Vergangenheit gibt es keinen Raum, weil sowohl die USA wie auch die Nachbarländer Iran, Türkei und Syrien, die selber starke kurdische Minderheiten haben, für so einen Schritt nicht zu gewinnen sind.
Im Zentralirak leben die arabischen Sunniten, die etwa 20 Prozent der Bevölkerung stellen und unter Saddam Hussein die Machtelite darstellten. Die arabischen Sunniten sind entschiedene Gegner der durch die Verfassung angestrebten Föderalisierung - nicht zuletzt aus handfesten wirtschaftlichen Gründen. Ihr Anteil aus den Gewinnen der Erdölförderung würde sich wesentlich verringern, da die großen Ölfelder des Irak im schiitischen Süden und im kurdischen Norden liegen.
In religiösen Fragen gibt es zwar eine weitgehende Übereinstimmung darüber, dass der Islam als offizielle Staatsreligion anerkannt werden soll, ein überwiegender Teil der Schiiten befürwortet aber eine strenge islamische Gesetzgebung, während die Sunniten den schiitischen Geistlichen keinen Verfassungsrang geben wollen und eher für eine weltliche Gesetzgebung eintreten.
Christen befürchten Diskriminierung
Am schwierigsten ist in dieser Frage die Lage der etwa fünf Prozent nichtislamischen Iraker, die unter Saddam geduldet waren. Sie, etwa drei Prozent Christen, der Rest kurdische Yeziden, eine monotheistische Religion, die auf den Mithraskult zurückgeht und Mandäer, eine abrahamitische Religion mit Bezügen zum Alten Testament, befürchten durch die neue Verfassung ebenso besondere Diskriminierung wie die Frauen (siehe untenstehender Beitrag).
Die Sunniten wehren sich auch gegen jede Erwähnung der unter Saddam alleinherrschenden Baath-Partei in der Verfassung. In dieser Partei waren vor allem sie prominent vertreten.
Sunniten könnten Verfassung blockieren
Rein zahlenmäßig könnten die Schiiten und die Kurden in der Nationalversammlung den Verfassungsentwurf auch alleine beschließen. Der Haken liegt aber in den Bestimmungen über das Verfassungsreferendum. Die Verfassung gilt als abgelehnt, wenn in drei der 18 irakischen Provinzen eine Zweidrittelmehrheit dagegen stimmt. Die Sunniten stellen in vier Provinzen im Zentralirak eine Mehrheit und könnten damit den gesamten Verfassungsprozess blockieren. Sie haben auch ihre Anhänger schon aufgerufen, sich zahlreich in den Wahllokalen registrieren zu lassen.
Sollte das Verfassungsreferendum scheitern, müsste es am 15. Dezember Neuwahlen geben. Diese Nationalversammlung hätte dann ein weiteres Jahr Zeit, eine Verfassung auszuarbeiten. Darauf wollen es aber weder die Amerikaner noch die derzeitige irakische Regierung ankommen lassen, für die ein Scheitern der Verfassungsabstimmung eine schwerer Rückschlag wäre.
US-Präsident George W. Bush hat deshalb am Freitag die Schiiten zu Zugeständnissen an die Sunniten aufgefordert. Bush telefonierte mit dem Führer der wichtigsten Schiitenpartei Sciri, Abdul Aziz al-Hakim. Der US-Botschafter in Bagdad Zalmay Khalilzad kontaktierte den in Najaf residierenden Großayatollah Ali al-Sistani und forderte ihn zu Druck auf die schiitische Allianz im Parlament auf, um die Verfassung doch noch zu retten.