Bei Asyl, Integration und bei direkter Demokratie gibt es noch rechtliche Schranken zu überwinden.
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Wien. Deutsch vor Schuleintritt, keine Einwanderung ins Sozialsystem und ein genereller Stopp bei der illegalen Zuwanderung - vieles, was sich im Bereich Asyl, Integration aber auch Sicherheit im Regierungsprogramm findet, ist allseits und seit längerem bekannt. Stellenweise fällt das Papier jedoch recht detailliert aus. So warten auf Flüchtlinge und Migranten gleich einige neue Hürden und Erschwernisse - wenn die neue Regierung umsetzen kann, was sie vorhat.
Hürden gibt es auch bei der Lösung des Streitthemas direkte Demokratie, bei dem schlussendlich etwas ganz anderes herausgekommen ist, als sich die beiden Koalitionsparteien, vor allem die FPÖ, noch im Wahlkampf und während den Koalitionsverhandlungen vorgestellt hatten. Die "Wiener Zeitung" hat mit Asylexperten und Verfassungsjuristen über die möglichen Stolpersteine für Schwarz-Blau gesprochen.
Asyl und Integration: "widersprüchliche Vorhaben"
"Abnahme von Bargeld bei Asylantragsstellung zur Deckung der Grundversorgung", "Auslesen bzw. Wiederherstellen von Handydaten und anderen elektronischen Kommunikationsmitteln (zum Beispiel Social Media) zur Erhebung der Reiseroute und bei unklarer Identität", ist im Programm zu lesen. "Dass Handydaten ausgelesen werden, passiert durchaus seit einigen Jahren", sagt Anny Knapp, Obfrau der Asylkoordination. Dass dies nun systematisch passieren soll, hält Knapp zumindest aus datenrechtlicher Sicht für problematisch: "Das ist eine hohe Hürde, die man dafür überspringen muss."
Eine negative Identitätsfeststellung, wenn die Identität der Person nicht festgestellt werden kann, wie das die neue Regierung will, sei dem Schweizer Modell entlehnt, sagt Knapp. Für Asylwerber und Asylberechtigte könne das allerdings negative Folgen haben. Speziell afghanische Flüchtlinge haben oftmals keine Reisepässe, sondern lediglich von einer Personalbehörde ausgestellte Papiere - und diese werden in Österreich nicht als amtliche Dokumente anerkannt.
"Ein Konto zu eröffnen oder einen Vertrag abzuschließen, wird im Falle von negativen Identitätsfeststellungen wohl sehr schwierig", sagt die Asylexpertin. Auch das Abgeben von Bargeld zur Deckung der Grundversorgungskosten bei der Antragsstellung werde in der Schweiz praktiziert. Verfassungsrechter Heinz Mayer hält die Maßnahme für "rechtlich nicht zulässig".
Wird ein in einer Grundversorgungseinrichtung untergebrachter Asylwerber straffällig, plant die neue Regierung die Einführung eines elektronisch überwachten Hausarrests - "aus unserer Sicht verfassungsrechtlich problematisch", sagt Knapp.
Dass im Integrations-Kapitel die zwingende Vermittlung der "verfassungsmäßig verankerten Werte vom ersten Tag an" gefordert wird, im Kapitel Innere Sicherheit aber Asylwerbern bis zum rechtskräftigen Asylbescheid "keine weiteren aufenthaltsverfestigenden Maßnahmen" zugebilligt werden, hält man bei der Asylkoordination für widersprüchlich. "Die Frage ist: Was genau soll unter aufenthaltsverfestigende Maßnahmen fallen?", fragt Knapp. Aus ihrer Sicht würden gemeinnützige Tätigkeiten oder Engagement in Vereinen sehr wohl integrationsfördernd wirken.
ÖVP und FPÖ wollen auch "strafgesetzliche Bestimmungen gegen den politischen Islam" umsetzen - sowohl Heinz Mayer als auch der Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk halten das in dieser Formulierung für undurchführbar. "Neue Strafbestimmungen können nicht nur auf den politischen Islam abzielen, sie brauchen eine konkrete Tat, eine Bedrohung", sagt Mayer. "Eine Gesinnung an sich kann nicht unter Strafe gestellt werden, anders sieht es bei Hasspredigten oder Ähnlichem aus", ergänzt Funk.
"Kosmetische Korrekturen" und rechtliche Unklarheiten
Änderungen soll es nicht nur im Integrationsbereich, sondern auch beim Thema direkte Demokratiegeben. Volksbegehren mit mehr als 100.000 Unterstützern sollen künftig in eigenen Ausschüssen und Plenen behandelt werden. Dem Einbringer des Begehrens wird im Nationalrat ein Rederecht gewährt, der zuständige Minister ist zu einer Stellungnahme verpflichtet. "Auch wenn sie durchaus sinnvoll sind: Es handelt sich eher um kosmetische Korrekturen", sagt Franz Merli, Professor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien.
Außerdem soll es eine Volksabstimmung geben, wenn 900.000 Menschen - rund 14 Prozent der Wahlberechtigten - das Begehren unterzeichnen. Abgestimmt soll nur dann werden, wenn das Parlament das Begehren nicht innerhalb eines Jahres entsprechend umsetzt.
Für Merli gibt es dabei noch jede Menge Unklarheiten. "Das Modell ist vage. Wann setzt das Parlament das Begehren etwa nicht entsprechend um? Wenn es eine Bestimmung auslässt oder nur die Hälfte davon beschließt? Wer entscheidet darüber? Der Initiator des Begehrens?" Geplant ist, dass Volksabstimmungen vorab vom Verfassungsgerichtshof auf grund-, völker- und europarechtlichen Verpflichtungen kontrolliert werden. Über die EU-Mitgliedschaft Österreichs darf nicht abgestimmt werden. Merli hält eine Themenbeschränkung und eine gerichtliche Vorprüfung für richtige Ansätze, aber schwierig umsetzen: "Der VfGH braucht bereits jetzt monatelang, um Gesetze auf grundrechtliche Vorgaben zu prüfen. Oft wird ihm ja erst bei der Anwendungsprüfung klar, ob ein Gesetz verfassungsrechtlich bedenklich ist."
Der Verfassungsrechtler vermisst im Programm zudem den Plan, Volksbegehren künftig transparenter zu machen. So solle klargestellt werden, wer die Initiative finanziere und betreibe.
Beschlossen werden soll das "900.000-Modell" erst 2022. nicht in Kraft treten. Fraglich ist, ob Schwarz-Blau die dafür nötige Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament erhält. Falls sie diese nicht bekommt, will die Regierung eine - nicht-bindende - Volksbefragung abhalten. "Dann braucht sie aber immer noch eine Verfassungsmehrheit, um es umzusetzen", erklärt Merli. "Wenn die Volksabstimmung in diesem Modell zudem die Wirkung haben soll, dass der Vorschlag, über den abgestimmt wird, zum Gesetz wird, ist das eine Gesamtänderung der Verfassung. Dann müsste man darüber auch in einer Volksabstimmung abstimmen."
Die notwendige Verfassungsmehrheit könnte Schwarz-Blau durch die Zustimmung der SPÖ oder der Neos erhalten. Bei der SPÖ verweist man darauf, dass das 900.000-Modell in so weiter Ferne liege, dass man es nicht kommentieren möchte. Die restlichen Vorschläge seien ohnehin seit einer parlamentarischen Enquete bekannt.
"Dass die Volksbegehren in der parlamentarischen Arbeit aufgewertet werden müssen: Da stehen wir absolut dahinter", meint Neos-Vorsitzender Matthias Strolz. "Hier können wir hoffentlich eine gemeinsame Formel finden." Das 900.000-Modell hält Strolz hingegen "nicht für praktikabel". Die Hürde sei zu hoch. Zudem brauche es etwa mehr Transparenz in der Finanzierung und eine Ruhephase von einem Jahr zwischen dem Volksbegehren und der Volksabstimmung.
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