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Verfassungsmythen

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Eigentlich sind diese Tage nach einer Nationalratswahl der Machthöhepunkt des Bundespräsidenten. Er rückt ins Zentrum der Politik, denn laut der Verfassung ist es der Bundespräsident, der einem Politiker seines Vertrauens den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt; er ist es, der die Minister ernennt; und es steht sogar in seiner Macht, eine Regierung, die sein Vertrauen verloren hat, abzuberufen. Und der vom Volk gewählte Bundespräsident hat das Recht, den vom Volk gewählten Nationalrat aufzulösen.

Politik in Österreich könnte also eine spannende Angelegenheit sein. Tatsächlich verfügt das Land über ein hinreichend kompliziertes Regierungssystem, das den Nervenhaushalt des durchschnittlichen Politikers wohl an die Grenzen seiner Belastbarkeit bringt. Die Kombination von Verhältniswahlrecht, parlamentarischer Regierung und direkt gewähltem Bundespräsidenten müsste von der staatsrechtlichen Theorie her eigentlich direkt ins Chaos münden.

Tat es dann ja auch in der Zwischenkriegszeit.

Heute ist von dieser Komplexität nichts mehr zu spüren. Eher schon folgt die Politik - entgegen der Bundesverfassung - einer recht simplen Logik - manche behaupten: einer erschreckend simplen Logik.

Verantwortlich dafür waren zwei parallele Entwicklungen nach 1945: die Etablierung einer rot-schwarz bestimmten Realverfassung neben, ober- und unterhalb der geschriebenen Verfassung; und die Reduktion des Amtes des Bundespräsidenten im Wesentlichen auf die Rolle eines Staatsnotars. Dessen radikale Machtbefugnisse bestehen weiter auf dem Verfassungspapier, sind jedoch längst "unbekannte Instrumente eines unbekannten Krisenmanagements" und somit Teil einer "Verfassungsmythologie", wie es der Staatsrechtler Manfried Welan formuliert.

Das hievt die Parteichefs in den Fahrersitz, auch dann, wenn es um die Bildung einer neuen Regierung geht. Als Spitzenkandidaten für den Nationalrat haben sie für ein Amt, das Abgeordnetenmandat, kandidiert, welches sie in Wahrheit gar nicht anstreben; als Parteichefs verhandeln sie nun untereinander und hinter verschlossenen Türen um einen Posten, nämlich das Amt des Bundeskanzlers, den eigentlich der Bundespräsident vergibt. Und anschließend darf der Nationalrat bestätigen, was längst feststeht: die Regierung.

So einfach ist Politik. In Österreich zumal.