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"Verfassungsschutz sehr lasch"

Von Clemens Neuhold

Politik

Dönmez warnt vor Radikalisierung des Austro-Islam durch Syrien-Krieg.


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Wien. Nach seinem "One-Way-Ticket"-Sager im Zuge von Pro-Erdogan-Demos schießt sich Bundesrat Efgani Dönmez auf den SPÖ-Vorzugsstimmen-Kaiser in der türkischen Community, Resul Ekrem Gönültas, ein - der erstmals dazu Stellung nimmt.

"Wiener Zeitung":In Deutschland wurde Cem Özdemir Grünen-Parteichef. Sie haben es in Österreich nicht zum Abgeordneten geschafft. Enttäuscht?Efgani Dönmez: Ich bleibe im Parlament - als Bundesrat. Ich hätte gerne mehr Verantwortung übernommen. Aber ich mache weiter und greife weiter Themen auf, wo andere wegschauen.

Wäre ein Özdemir bei uns möglich?

Die Diskussion, wo jemand herkommt, gehört für mich der Vergangenheit an. Deutschland ist uns bei der Integration 15 Jahre voraus. Dort sind türkische Ärzte, Rechtsanwälte Normalität.

Sie wollten über Vorzugsstimmen in den Nationalrat. Mit rund 1000 Stimmen haben Sie deutlich schlechter mobilisiert als der SPÖ-Kandidat Resul Ekrem Gönültas mit 13.000 Stimmen.

Ich habe mich an demokratische Spielregeln gehalten.

Das war eine Überleitung zu einem der Themen, die Sie aufgreifen. Was soll rund um Gönültas im Wahlkampf passiert sein?

Es kam zu organisierten Stimmabgaben in manchen Moscheen. Das haben Moscheenbesucher mir gegenüber auch belegt. Die Bundeswahlbehörde geht dem nach. Ich habe mein Beweismaterial zur Verfügung gestellt.

Was lief Ihrer Meinung nach ab?

In manchen Moscheen wurden Formulare ausgefüllt, mit Daten der Moscheenbesucher, dann holten die Wahlhelfer die Wahlkarten bei den Adressen ab und brachten sie in die Moschee zum gemeinsamen Ausfüllen. Das wurde schon bei den Wirtschaftskammerwahlen so gemacht.

Was haben Sie gegen Gönültas?

Gönültas steht der Mili Görüs nahe, das ist eine politisch-islamistische Organisation, die Werte vertritt, die mit unserer Auffassung von westlicher Demokratie nicht vereinbar sind. Es stört viele, wenn Gebetsstätten zu politischen Hinterzimmern werden.

Welche Werte vertritt Mili Görüs?

Im Jahr 1969 gründete Necmettin Erbakan die Bewegung Milli Görüs (Nationale Sicht). Ziel war eine Islamisierung der türkischen Gesellschaft, ausgehend von einer Islamisierung der Wirtschaft "von unten nach oben". Erbakan war 1997 Ministerpräsident, wurde aber vom Militär zum Rücktritt genötigt. Seine damaligen Wegbegleiter: der gegenwärtige Ministerpräsident Tayyip Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül. Erbakan gilt als Ziehvater Erdogans, beide vertreten nationalistisch-islamistisch geprägte Werte.

Sie sind Alevit, eine in der Türkei bis heute nicht anerkannte religiösen Minderheit. Alevitenvereine stellen sich demonstrativ hinter Sie. Sind Sie auch deswegen Stachel im Fleisch der mehrheitlich sunnitischen Community?

Ich will das nicht auf diese Ebene herunterbrechen. Es geht um Werte nicht Zugehörigkeit.

Es fällt auf, dass unter politisch aktiven Austrotürken Kurden oder Aleviten überproportional vertreten sind.

Diese sind sehr politikinteressiert und tendenziell dem linken Lager zuzurechnen. Als Gewerkschafter oder Kulturarbeiter kommen sie dann mit SPÖ oder Grünen in Berührung. Jene aus dem nationalistisch-islamistischen Milieu kommen ausschließlich bei SPÖ oder ÖVP unter.

Sie wettern gegen Moscheen und Kulturvereine, bleiben dabei vage. Was passiert dort so Schlimmes?

Ich wettere nicht, ich zeige auf und stelle Fragen. Die Türken sind seit den 60er Jahren in Österreich und betreiben viele Kulturvereine. In allen Rankings über Bildung oder den Arbeitsmarkt sind die Türken die schlechteste Gruppe, dies macht mich nachdenklich. Da frage ich mich, was machen diese Vereine?

Wieder sehr vage. Werden die Leute dort an der Integration gehindert oder radikalisiert?

In Vereinen der Milli Görüs, türkischer Nationalisten oder manch regierungsnaher Gruppierungen werden offen Werte vertreten, die für das Zusammenleben in Österreich bedenklich sind.

Bitte genauer . . .

Die Rolle der Frau, Teilhabe der Kinder an Schulausflügen, Diffamierung von Andersdenkenden, Politisierung des Glaubens, die Reduzierung des Islams auf Ge- und Verbote, Übernahme von Aussagen, ohne diese zu hinterfragen, Etablierung eines Geistes der Unterwerfung. Nicht wenige geben vor, im Sinne der Muslime bzw. des Islams zu handeln, wobei sie lediglich die Interessen ihrer Gruppen oder Ideologien vertreten. Aktivitäten der Behörde für Auslandstürken gemeinsam mit den "Kulturvereinen" und Moscheen für die bevorstehenden Wahlen in der Türkei. Hier werden Gebetsstätten zu verlängerten Wahlkampfstätten der türkischen Regierung missbraucht.

Das ist schon "Radikalisierung"?

Schauen Sie in einschlägige Foren im Internet. Was da an Hetze gegen Ungläubige, Juden, Homosexuelle passiert - Wahnsinn!



Vielleicht geht es in Österreich einfach ruhiger zu. Außerdem gibt es einen Verfassungsschutz, der Vereine und Moscheen beobachtet.

Unsere Behörden sind sehr lasch. Es muss erst wer erstochen oder erschossen werden, damit sie genauer hinschauen. Rund um den Bürgerkrieg in Syrien gibt es massiv bedenkliche Entwicklungen. Ich meine nicht nur Kämpfer, die in Österreich rekrutiert werden. Die dortigen Spannungen zwischen Aleviten und Sunniten übertragen sich nach Österreich und keiner schaut hin.

Der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Fuat Sanac, bestreitet radikale Tendenzen im Austro-Islam und forderte Ihren Rücktritt, als Sie Teilnehmern einer Pro-Erdogan-Demo die Heimreise per "One-Way-Ticket" empfahlen.

Sanac stammt selber aus der Mili Görüs. Die stellen mich gerne als rechten Islamophoben hin und wollen mich aus dem Parlament haben. Aber ich bleibe eine kritische Stimme in diesem Land.

Was die One-Way-Ticket Aussage betrifft, da habe nur das unterstrichen, was manche der Demonstranten in Form von Slogans von sich gegeben haben: "Wir sind Erdogans Soldaten." Wir brauchen in Österreich keine Ferngesteuerten. Wenn jemand Soldat sein möchte, dann im Herkunftsland, aber sicher nicht bei uns.

Sanac ist vom Bundespräsidenten abwärts anerkannt und geschätzt.

Aber hat eine politische Heimat, das ist sein Milieu. Ein Großteil der gegenwärtigen Akteure im Austro-Islam stammt aus dem Mili-Görüs-Umfeld. Das ist kein weltoffener Think Tank. Liberale Stimmen geraten unter Druck und wandern wie der Islamwissenschafter Mouhanad Khorchide nach Deutschland aus. Dort sind sie auf Konferenzen gefragt.

Wer Türken und Islam kritisiert, macht das Geschäft der FPÖ, ist eine verbreitete Haltung bei Linken.

Ein fataler Zugang: Es gibt nur den guten oder den schlechten Ausländer. Das andere Extrem zur FPÖ ist es, wenn man wie die Grünen alle in Schutz nimmt. Es gibt keine differenzierte Diskussion. Es geht nicht darum, woher jemand stammt oder woran er glaubt, sondern um die Wertehaltung. Trottel bleibt Trottel.

Stellungnahme von Resul Gönültas

Bisher wollte der Nationalratskandidat der SPÖ, Resul Ekrem Gönültas, die Vorwürfe Dönmez’ nicht kommentieren. Nun sagt er zur "Wiener Zeitung":

"Diese Vorwürfe lehne ich strikt ab. Die entsprechen nicht der Wahrheit. Ich habe die Vorzugsstimmen durch meine Leistungen und meine Bekanntheit in der türkischen Community erreicht. Ich habe schon bei den Wirtschaftskammerwahlen 2009 dafür geworben, dass Migranten zu den Urnen gehen, und seither kennt man mich."

Die von Dönmez behauptete Nähe zu Mili Görüs wollte er nicht kommentieren.

Aus der SPÖ-Zentrale hieß es, nachdem Dönmez die Vorwürfe erstmals erhoben hatte: "Wir gehen davon aus, dass die Vorwürfe zu Unrecht erhoben werden und alles rechtens abgelaufen ist. Alle Wahlkarten tragen ja auch die Unterschrift der jeweiligen Wähler."