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Verfassungsstreit um Wahlen

Von WZ-Korrespondentin Alexandra Klausmann

Europaarchiv

Wahltermin im Oktober gefährdet. | Expertenteam soll Verfassung ändern. | Prag. Ein großes Fragezeichen, genauer gesagt die Waage der Justitia, hängt über den vorgezogenen Parlamentswahlen in Tschechien. Die, so hatte es der tschechische President Václav Klaus bestimmt, sollten eigentlich am 9. und 10. Oktober stattfinden. Nun erklärte das Verfassungsgericht, die Einberufung der Wahlen sei im Augenblick "nicht vollziehbar".


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Grund ist eine Verfassungsbeschwerde des Abgeordneten Milos Melcak. Der 73-Jährige will nicht akzeptieren, dass um etwa neun Monate vorgezogenen Wahlen sein Mandat verkürzen. Das sei ja wohl eine "Deformation der Verfassung", erboste sich der Volksvertreter in seiner gerichtlichen Beschwerde.

Unsinn, kontern Verfassungsexperten. "Ich glaube nicht, dass das Verfassungsgericht berechtigt ist, das Funktionieren eines demokratischen, auf Wahlen basierenden Staates zu beschränken," meint der Juraprofessor und Parlamentsabgeordnete Zdenek Jicinsky, der selbst die tschechische Verfassung mitgestaltet hat. "Ich bin geschockt, dass ein Gericht Wahlen verhindert," sagte Jicinsky.

Das letzte Wort ist dabei noch nicht gefallen. Ob die vorgezogenen Wahlen verfassungsgemäß sind oder ob der Abgeordnete Melcak in seinen Rechten beschnitten wurde, muss das Gericht erst noch entscheiden. Bisher haben die Verfassungsrichter erst den anvisierten Wahltermin auf Eis gelegt. "Ein neuer Wahltermin wird erst aufgrund der endgültigen Entscheidung des Verfassungsgerichts fallen," erklärte dessen Vorsitzender, Ex-Minister Pavel Rychetsky. Alles hängt jetzt davon ab, wie und wie schnell das Gericht den Einspruch Melcaks beurteilen wird. Darauf wollen sich tschechische Politiker allerdings nicht verlassen. Immerhin hat die Wahlkampagne bereits begonnen.

Große Parteien einig

Außerdem besteht kaum der Wille, das als Übergangslösung eingesetzte Beamtenkabinett von Ministerpräsident Jan Fischer länger am Ruder zu lassen als unbedingt nötig.

In trauter Eintracht hat sich daher Mittwoch die sonst so zerstrittene tschechische Politelite zum Stelldichein bei Präsident Vaclav Klaus auf der Prager Burg eingefunden.

Dort hat man schnell ein Expertenteam aufgestellt, das innerhalb von Stunden, allerhöchstens Tagen eine Verfassungsänderung ausarbeiten soll, die die Umstände und Folgen vorgezogener Wahlen genauestens definiert. Für eine Verfassungsänderung haben sich schon die Abgeordneten der Bürgerdemokraten, der Sozialdemokraten und der Kommunisten ausgesprochen. Und natürlich Vaclav Klaus: "Wir sind überzeugt, dass es in dieser aufgewühlten politischen und wirtschaftlichen Situation im öffentlichen Interesse ist, die Wahlen zum gegeben Termin stattfinden zu lassen," erklärte das Staatsoberhaupt.

Mann mit Vergangenheit

Aufgewühlt ist die politische Situation in Tschechien schon seit langem. Nicht zum ersten Mal dank Milos Melcak. Die letzten Parlamentswahlen im Juni 2006 ergaben eine Pattsituation, die die Regierungsbildung unmöglich machte. Nach monatelangem Hin und Her war es dann Melcak, bis dahin Abgeordneter der Sozialdemokraten, der zusammen mit seinem Kollegen Michal Pohanka dem Konservativen Mirek Topolanek die Regierungsbildung ermöglichte.

Das Mandat, das Melcak nun so scharf verteidigt, hatte er zwar für die Sozialdemokraten erlangt. Das hinderte ihn aber nicht daran, aus deren Fraktion auszutreten und fortan fraktionslos hauptsächlich für Topolanek zu stimmen. Während jetzt die halbe Tschechische Republik über die Motive Melcaks spekuliert, die ihn zu seiner Verfassungsbeschwerde bewogen, hüllt der sich in Schweigen. Niemand will wissen, wo er ist, sein Handy bleibt abgeschaltet - wie schon damals nach seinem Überlaufen zu Topolanek.