Nicht nur in Syrien gleicht die US-Außenpolitik einem Liebesroman des 19. Jahrhunderts. Am Schluss werden die zuvor ermutigten Rebellen sitzen gelassen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Eines der übelsten sich wiederholenden Merkmale der US-Außenpolitik ist ein Vorgang, den man freiheraus als "Verführung und Verlassen" beschreiben könnte. Das passiert gerade in Syrien. Der Verführungsteil beginnt mit einer übereifrigen rhetorischen Umarmung. Vor fast zwei Jahren, am 18. August 2011, verkündete US-Präsident Barack Obama zum ersten Mal, dass "die Zeit für Präsident Assad gekommen ist, zurückzutreten". Diesen Aufruf zum Regimewechsel stützte er durch keinen bestimmten Plan, was ihn aber nicht davon abhalten konnte, das Assad-muss-gehen-Thema seither regelmäßig zu wiederholen.
Das nächste Stadium ist ein anhaltendes Werben. Die CIA hat 2011 begonnen, die syrische Opposition zu unterstützen. Als diese auch von anderen umworben wurde (der Türkei oder Katar zum Beispiel), vertrieben die USA diese Rivalen. Dann kam die offizielle Verlobung. Am 13. Juni kündigte das Weiße Haus an, es werde die syrische Opposition militärisch unterstützen, weil das Assad-Regime durch den Einsatz von chemischen Waffen die "rote Linie" überschritten habe. Die Rebellen begannen, Lagerhäuser für die versprochenen Lieferungen vorzubereiten, in der Hoffnung, dass die USA endlich ihre Absichten wahr machen.
Und dann? Da das die Geschichte einer unglücklichen Romanze ist, weiß man, was als Nächstes kommt, nämlich was englische Romanschriftsteller des 19. Jahrhunderts "the jilt" nannten, jemand sitzen lassen. Es stellt sich heraus, wie es in einem Artikel in der "New York Times" vom Wochenende heißt, "dass die Pläne der US-Regierung viel dürftiger sind als angedeutet".
Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Kämpfer der syrischen Rebellen, der seit zwei Jahren sein Leben aufs Spiel setzt, in der Hoffnung, dass Obama wirklich einer gemäßigten Opposition helfen will, sich nicht nur gegen Assad zu behaupten, sondern auch gegen die Dschihadisten, die das Land führen wollen. Und dann überlegt es sich Washington noch einmal. Was würden Sie zu so einem Verhalten sagen?
General Salim Idriss, Chef der gemäßigten Freien Syrischen Armee, sagte dem "Daily Telegraph": "Der Westen verspricht und verspricht. Das ist ein Witz. Worauf warten unsere Freunde im Westen? Dass der Iran und die Hisbollah alle Syrer umbringen?"
Was sich im Moment in Syrien abspielt, ist so vertraut, dass es fast ein Leitmotiv der US-Außenpolitik ist. Washington will einen Regierungswechsel, also ermutigt es Rebellen, sich zu erheben. Sind sie dann auf den Barrikaden, bekommen die Politiker kalte Füße, wenn sie feststellen, dass es an öffentlicher Unterstützung mangelt. So war es bei der ungarischen Revolution 1956, der Schweinebucht 1961, dem Prager Frühling 1968, in Nicaragua 1984 und es passierte im Libanon, in Laos, im südlichen Irak - setzen Sie die Liste nach Belieben fort.
Am Ende der Romane des 19. Jahrhunderts bekommt der untreue Verführer üblicherweise, was er verdient. Er ist ruiniert, während rechtschaffene und standhafte Charaktere belohnt werden. Aber in der Außenpolitik ist das nicht so.
Übersetzung: Redaktion
Siehe Orginalfassung "Syrian rebels' turn for the jilt"