Eigentlich sollten die gegenwärtigen und zukünftigen Beziehungen zwischen Österreich und Tschechien im Mittelpunkt stehen. Wie wenig dabei jedoch die Vergangenheit aus dem Spiel gelassen werden kann, zeigte sich bei einer zweitägigen Konferenz auf Schloss Stirin bei Prag. Die Frage der Vertreibung der Sudetendeutschen dominierte die Veranstaltung.
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Rudolf Bretschneider brachte auf den Punkt, was sich etliche KonferenzteilnehmerInnen wohl dachten. "Jemand Unbeteiligter müsste in den letzten zwei Tagen den Eindruck gewonnen haben, dass Österreicher in ihrem Verhältnis zu Tschechien nur die Sudetendeutschen-Frage interessiert", stellte der Leiter des Fessel-Instituts fest, als sich die Konferenz ihrem Ende zuneigte. Tatsächlich drehten sich die meisten Wortmeldungen um Benes-Dekrete und die Vertreibung der Sudetendeutschen, auch wenn der Titel der von Außenministerium, Institut für den Donauraum und Mitteleuropa sowie Institut für Internationale Beziehungen Prag organisierten Veranstaltung weiter gefasst war: "Tschechische Republik und Österreich im zusammenwachsenden Europa".
Zwar würden Benes-Dekrete neben Temelín vielen Österreichern einfallen, wenn sie auf Tschechien angesprochen werden, räumte auch die Journalistin Barbara Coudenhove-Kalergi ein. Sie unternahm aber gleichzeitig als eine der wenigen den Versuch, eine Erklärung dafür zu finden. So spiele sich etwa der Temelín-Konflikt ab "vor dem Hintergrund eines diffusen Gefühls, von dort drüben kommt nichts Gutes".
Es ist großteils Unkenntnis, die Stereotype präge, betonte auch Bretschneider. So mangle vielen ÖsterreicherInnen das Bewusstsein, wie sehr sich beispielsweise die wirtschaftliche Lage Tschechiens in den letzten zehn Jahren verändert habe und welche Erfolge bereits errungen wurden. Die Vertreibung der Sudetendeutschen hingegen nehme in den Vorstellungen breiter Bevölkerungsschichten weit weniger Platz ein.
"Das Geschichtsbewusstsein, das hier diskutiert wird, ist für den 'Normalverbraucher' nicht präsent", meinte auch Erhard Busek, Regierungsbeauftragter für die EU-Erweiterung. Schärfer formulierte es der tschechische Schriftsteller Pavel Kohout in einem Appell an seine "ehemaligen Landsleute": "Unterstützen wir unsere Kinder, dass sie den Streit, an dem wir fast verbluten, auf eine Zeitebene mit der Französischen Revolution bringen." Der Einwand, dass dies nicht wünschenswert sei, solange es Zeitzeugen gibt, die gehört werden sollten, war allerdings nicht vom Tisch zu wischen.
Auf verknöcherte Perspektiven wies ebenfalls Jaroslav Sonka von der Europäischen Akademie hin. Eine der Ursachen dafür sei die "Faulheit, Veränderungen wahrzunehmen" - und das auf beiden Seiten. Sie manifestiere sich beispielsweise in der Trägheit bei der Aufarbeitung der eigenen Geschichte.
Wenn die Konferenz im tschechischen Schloss Stirin einen Beitrag geliefert hat, dem entgegenzuwirken, kann dies nur begrüßt werden. Doch auf längere Sicht müssen andere Überlegungen in den Vordergrund rücken: wie die gemeinsame Gestaltung der Zukunft. Darin waren sich ebenfalls etliche TeilnehmerInnen einig.