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Vergangenheitsbewältigung bei den Eidgenossen

Von Denise Cles

Politik

Für die einen sind sie "Nestbeschmutzer", für die andern haben sich die Historiker der "Unabhängigen Expertenkommission Schweiz - Zweiter Weltkrieg" redlich um ein Stück Vergangenheitsbewältigung bemüht. In einer Wanderausstellung, die derzeit in Zürich und ab 18. Jänner in Schaffhausen zu sehen ist, versucht die nach ihrem Vorsitzenden benannte Bergier-Kommission die Ergebnisse ihrer 25 Teilstudien über die "dunklen Jahre" einem breiteren Publikum näher zu bringen.


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Der Blick in den Spiegel tut offenbar weh. Eine heftige Polemik hat vor allem eine der Schlussfolgerungen des Bergier-Berichts in der Schweiz ausgelöst. "Indem man die Grenzen zunehmend schloss, aufgegriffene Flüchtlinge ihren Verfolgern übergab und viel zu lange an restriktiven Prinzipien festhielt, wurden viele Menschen in den sichern Tod getrieben. Damit trug die Schweiz dazu bei, dass die Nationalsozialisten ihre Ziele erreichen konnten", heisst es im Schlussbericht. Veteranenverbände protestierten gegen die "verzerrte Geschichtsdarstellung". Noch heute ist der Mythos von der heldenhaften Verteidigung des Landes gegen Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg weit verbreitet.

Bei allem Verständnis für die äußerst bedrohliche Lage, in der sich die Schweiz spätestens seit der Besetzung Frankreichs durch die deutschen Truppen 1940 befand, vermittelt die gut dokumentierte Ausstellung doch den Eindruck, dass sich Politik und Wirtschaft in der Schweiz allzu willfährig zeigten. Rund 20.000 Flüchtlinge wurden nach Schätzungen der Bergier-Kommission an der Grenze abgewiesen. 1942 war die "Endlösung der Judenfrage" bei der berüchtigten Wannsee-Konferenz beschlossen worden. Informationen über Deportationen und Massenmorde in den KZs waren vor allem dank britischen Radio- und Zeitungsberichten auch in die Schweiz durchgedrungen. Trotzdem beschloss die Berner Regierung 1941, die Grenzen weitgehend dicht zu machen. Nicht nur an der Grenze aufgegriffene Flüchtlinge wurden den Deutschen übergeben.

Selbst Menschen, denen es gelungen war, ins Inland vorzudringen, drohte dieses Schicksal. So schilderte der Augenzeuge und Journalist Hermann Böschenstein in einer historischen Tonbandaufnahme, wie er der Regierung in Bern mit einer öffentlichen Kampagne gegen die unmenschliche Asylpolitik drohte, nachdem ein junges belgisches Ehepaar auf dem jüdischen Friedhof in Bern festenommen und an die Deutschen ausgeliefert worden war, welche die beiden später in den Tod schickten. Der damalige Schweizer Justizminister sagte daraufhin eine Lockerung der Flüchtlingspolitik zu, wobei es jedoch auch später immer wieder zu brutalen Auslieferungen kam. Die Bergier-Kommission weist denn auch darauf hin, dass die politisch Verantwortlichen den humanitären Anforderungen häufig nicht genügten.

Auch Neutralitätsverletzungen hält der Bericht der damaligen Schweizer Regierung vor. So ließ man kriegswichtige Kohletransporte unkontrolliert die Nord-Süd-Transitroute zwischen den beiden Achsenmächten Deutschland und Italien passieren.

Gründlicher als je zuvor beleuchtet der Bergier-Bericht auch die Rolle der Schweizer Wirtschaft in den Jahren des Nazi-Regimes. Dies wurde möglich, weil die Firmen unter dem starken öffentlichen Druck erstmals ihre Archive öffneten. Großunternehmen wie der Elektrokonzern BBC (heute ABB), der Pharmaproduzent Sandoz oder der Waffenhersteller Bührle zeigten sich gegenüber Nazideutschland sehr kooperativ. Um eine gewaltsame "Arisierung" ihrer Prager Filiale zu verhindern, entließ BBC beispielsweise in vorauseilendem Gehorsam alle leitenden jüdischen Angestellten.

Oerlikon-Bührle entwickelte für die deutsche Armee spezielle Kanonen, die sowohl in der Flugabwehr als auch gegen Panzer eingesetzt werden konnten. Eine US-Kommission stellte schon bald nach dem Krieg fest, dass Bührle kaum unter Zwang gehandelt habe, wie die Firma selbst behauptete, sondern dass "Gewinnstreben" das Hauptmotiv für diese Entwicklungsarbeiten gewesen sei.

Wenig rühmlich war auch die Rolle der Schweizer Nationalbank. Sie wickelte zahlreiche Goldtransaktionen mit dem Dritten Reich ab und erwarb auch "Raubgold", vor allem aus dem besetzten Belgien.

Eines der Verdienste der Ausstellung ist sicherlich, das allzu positive Geschichtsbild der Schweizer über die Rolle ihres Landes im Zweiten Weltkrieg zu korrigieren. Dass die Schweiz während all der Jahre, als ringsum Millionen von Menschen vertrieben, verwundet und umgebracht wurden, ungeschoren davon gekommen ist, hatte sie wohl nicht in erster Linie ihrem militärischen Verteidigungswillen zu verdanken. Eine weit wichtigere Rolle dürfte ihre politische und wirtschaftliche Kooperationsbereitschaft gespielt haben.