Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sei zwar sicherlich wichtig, noch wichtiger sei jedoch die Beschäftigung mit den Herausforderungen der Zukunft, ist der Wiener Politologe Peter Gerlich im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" überzeugt.
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"Nur weil es ein rundes Jubiläum gibt, sollte man sich nicht von der Auseinandersetzung mit der Zukunft verabschieden", hält Gerlich nichts von einer allzu übertriebenen Beschäftigung mit der Vergangenheit - umso mehr, als dies mittlerweile ohnehin geschehe. Dass es zwischen Österreichs Parteien nach wie vor und zum Teil grundsätzlich verschiedene Interpretationen einzelner historischer Ereignisse gibt und diese bis in die Gegenwart nachhallen, ist für ihn "problematisch". Denn: "Eine gesunde Gesellschaft ist sich einig über die Vergangenheit und uneinig über die Zukunft", zitiert Gerlich den britischen Soziologen Ralf Dahrendorf.
Kritisch registriert der Politologe die zunehmende Tendenz der Parteien, jedes Ereignis - von der Flut in Südostasien bis zum Jubiläumsjahr - für das Wechseln politischen Wechselgeldes zu instrumentalisieren: "Das ist völlig kontraproduktiv für alle Beteiligten und funktioniert auch nicht."
Die intensive Beschäftigung mit dem Kommenden erscheint Gerlich umso mehr ein Gebot der Stunde, als Österreich einer unklaren Zukunft entgegen gehe: Es werde schwierig genug, sich mit den zahllosen Veränderungen - Prozesse wie die Globalisierung und technische Innovationen - erfolgreich auseinander zu setzen. Dazu komme noch, dass die heimische Politik nach Ansicht des Politologen ohnehin Probleme hat, erfolgreich mit dem Prozess der europäischen Integration zu Rande zu kommen.
Die Popularität historisierender Nabelbeschau in der politischen Klasse könnte allerdings auch in der Geschichtsverliebtheit vieler Österreicher ihre tiefere Ursache haben - vor allem, wenn sich damit eine Idealisierung der eigenen Vergangenheit verbinden lässt. Man denke nur an Kaiserreich und Brückenkopf.