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Vergewaltigungen in vielen Kriegen als Waffe eingesetzt

Von Andreas Osterhaus

Politik

Paris - Spätestens mit dem Bosnien-Krieg sind die Horrorszenen auch ins Bewusstsein der Völkerrechtler vorgedrungen: Vergewaltigungen auf Kriegsschauplätzen, die Jahrhunderte als Nebeneffekt bewaffneter Konflikte galten, werden seit den Gräueltaten auf dem Balkan verstärkt verfolgt. Aber damit ist das Problem längst nicht ausgeräumt. Vor dem Internationalen Frauentag schrillten bei einem Kolloquium in Paris in dieser Woche die Alarmglocken. "Sexuelle Gewalt ist eine neue Kriegswaffe", lautet die These von Karima Guenivet, die ihre alptraumartigen Erkenntnisse in einem gleichnamigen Buch zusammengefasst hat ("Violences sexuelles - La nouvelle arme de guerre"). Tausende Frauen würden gezielt entehrt und dauerhaft verletzt.


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"Sie haben mich auf den Boden geworfen und geschlagen", erzählte eine aus Sierra Leone geflüchtete Frau, die in Guinea einer Rebellengruppe in die Hände gefallen war. "Dann haben sie mich vergewaltigt, einer nach dem anderen, zehn Mal." Die Zeugenaussage wurde von der Hilfsorganisation "Medecins du Monde" (Ärzte der Welt) protokolliert. Die Genfer Konvention, die seit 1949 Frauen eigentlich schon deshalb schützt, weil sie als Zivilistinnen an den Konflikten in der Regel nicht aktiv beteiligt sind, hat ihre Wirkung verfehlt. Noch immer bleibe das öffentliche Bewusstsein von der schon in der Antike verbreiteten Ansicht geprägt, dass "die Beute zum militärischen Sieg gehört", beklagt Guenivet - und die Beute seien in vielen Fällen die Frauen.

Aus den Aussagen nach dem Bosnien-Krieg hat Guenivet fünf Typen von sexueller Gewalt herausgefiltert: Vergewaltigungen dienten häufig als Mittel zur Terrorisierung von Bevölkerungsgruppen mit dem Ziel, diese zu vertreiben. Daneben gebe es die teils öffentliche Vergewaltigung bei der Eroberung einer Ortschaft und die Zwangsprostitution. Völlig aussichtslos sei die Lage, wenn sich die Frauen erst einmal in Gefangenschaft befänden und dort wiederholt vergewaltigt würden. Dieser Typ von Vergewaltigung sei nur auf der Grundlage einer "politischen Organisation" möglich, die "Polizisten und Amtsträger in Vergewaltiger" verwandle. Als letzte Steigerungsform betrachtet Guenivet die Einrichtung von Lagern, in denen Frauen regelmäßig vergewaltigt werden. Das habe sich etwa 1992 in Prijedor abgespielt, wo 3000 moslemische und kroatische Frauen von Serben eingesperrt wurden.

Bis zur Bestrafung der Täter ist es ein weiter Weg. Die Hilfsorganisationen haben die Erfahrung gemacht, dass traumatische Erlebnisse wie Folter und Vergewaltigung von den Betroffenen häufig verdrängt werden. Aber dies gelingt meist nur oberflächlich: Die Opfer leiden dann an Alpträumen, Schlaflosigkeit und Depressionen oder sind sogar selbstmordgefährdet. "Meistens wollen die Opfer nicht über ihre Erlebnisse sprechen", sagt die Anwältin Wassyla Tamzali, die für die UNO-Wissenschaftsorganisation UNESCO einen Bericht über die Vergewaltigungen in Bosnien verfasst. "Wir müssen gemeinsam einen Schritt weiter kommen, denn das Opfer kann psychisch nur wieder aufgerichtet werden, wenn die Tat von einer offiziellen Stelle verurteilt wird."

Eine Untersuchung für das Rote Kreuz ergab, dass in Kriegsgebieten jeder Neunte ein Vergewaltigungsopfer kennt. Weiträumige Vergewaltigungen hat Guenivet in den Bürgerkriegen in Ruanda sowie auf dem Balkan untersucht. Aus diesen besonders eklatanten Fällen sind Hoffnungsschimmer erwachsen: Die Vereinten Nationen haben das Kriegsverbrechertribunal in Arusha beauftragt, neben den üblicherweise geahndeten Formen von Kriegsverbrechen auch die Vergewaltigungen zu verfolgen, die 1994 in Ruanda begangen wurden. Den gleichen Auftrag erhielt das Tribunal in Den Haag für die Kriege auf dem Balkan. Vor einem Jahr verhängte es erstmals langjährige Haftstrafen wegen systematischer Vergewaltigungen: Drei Serben wurden zu zehn bis 18 Jahren Gefängnis verurteilt. Sie hatten nach dem Urteil der Richter Vergewaltigungen im Bosnienkrieg als "Instrument des Terrors" eingesetzt.