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Verhaltensregeln werden fixiert

Von Heiner Boberski

Politik

Sie geht mit dem guten Vorsatz ins neue Arbeitsjahr, Lehrerinnen und Lehrer nicht mit plötzlichen Maßnahmen zu verunsichern. Elisabeth Gehrer, ehemalige Pflichtschullehrerin in Tirol, dann Landesrätin in Vorarlberg, dann Bundesministerin für Unterricht und seit Februar 2000 als Bildungsministerin auch für die Hochschulen zuständig, macht sich nicht nur über Leistungsstandards, sondern auch über voraussichtlich 300.000 Schüler weniger im Jahr 2030 Gedanken, und gab der "Wiener Zeitung" dazu das folgende Interview.


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"Wiener Zeitung": Frau Bundesministerin, was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Neuerungen im anbrechenden Schuljahr?

Elisabeth Gehrer: Mir ist besonders wichtig, dass wir im neuen Schuljahr im Bereich der Qualitätssicherung, der Qualitätssteigerung tätig werden. Dazu gehört die Ausarbeitung von Leistungsstandards, damit ist die Zukunftskommission beauftragt. Wenn wir uns im europäischen Wettbewerb positionieren wollen, müssen wir ständig an der Qualität arbeiten.

Elisabeth Gehrer: Das Zweite für mich besonders Wichtige: die "Aktion Lesefit" weiterführen. Lesefit heißt, dass die Kinder in der 4. Klasse Volksschule sinnerfassend lesen können. Wir wollen in fünf Jahren die Zahlen derjeniger, die schlecht lesen können, halbieren.

"Wiener Zeitung": Wie viele sind das?

Elisabeth Gehrer: Laut OECD-Studie können vier Prozent nicht sinnerfassend lesen und zehn Prozent schlecht.

Das dritte ist die Frage der Verlässlichkeit der Schule in Bezug auf das Stundenangebot. Wir haben jetzt Stundenkontingente, die noch über dem Schnitt der Industriestaaten (930 bis 940 Stunden pro Jahr) liegen.

Das vierte wichtige Handlungsfeld ist die Schulpartnerschaft. Dabei möchte ich wieder die Frage der Verhaltensvereinbarungen neu aufleben lassen: Es sollen an den Schulen Verhaltensvereinbarungen abgeschlossen werden. Dazu gehört, dass wir das Frühwarnsystem ernst nehmen, dass wir vermeiden, dass Kinder eine Klasse wiederholen oder eine Nachprüfung machen müssen.

Was mich besonders freut, und da sage ich danke an alle Lehrer und Lehrerinnen: Das neue Schuljahr beginnt mit guten autonomen Stundentafeln, denn die meisten Bundesschulen haben ihre Stundentafeln festgelegt und können zügig arbeiten.

Am Anfang eines Jahres hat jeder gute Vorsätze. Mein guter Vorsatz ist es, die Lehrer und Lehrerinnen nicht mehr zu arg zu verunsichern, indem man sehr geschwind irgendwelche Maßnahmen setzt. Wir haben jetzt Rahmenbedingungen, die durch das Doppelbudget auch schon für das Schuljahr 2004/2005 gesichert sind, auf denen können wir aufbauen.

Für den Zuwachs an Schülern - wir haben mehr Schüler an weiterführenden Schulen - haben wir auch die notwendigen finanziellen Mittel. Wir haben 28 Mill. Euro mehr im Budget für heuer, aber auch für nächstes Jahr wieder. Damit haben 160 Lehrer zusätzlich eine Chance, unterrichten zu können. Also ein paar gute Botschaften.

"Wiener Zeitung": Bei den Qualitätsstandards geht es um Leistungskontrollen. Wie stellen Sie sich das praktisch vor? Kann das so weit führen wie in Frankreich, wo die Matura zentralistisch organisiert ist und alle die gleichen Prüfungsaufgaben bekommen?

Elisabeth Gehrer: Wir haben in Österreich eine bedeutend weitere Schulautonomie als in Frankreich. Wichtig ist mir, dass wir zum Beispiel in Mathematik, in Deutsch, in den Fremdsprachen, eventuell auch in den Naturwissenschaften, die Standards formulieren, die ein Kind auf dieser Schulstufe erreichen soll. Eine Zentralmatura in einem Land, wo Schule so verschiedene Ausprägungen haben kann, ich weiß nicht, ob das der Stein der Weisen ist. Was mir aber besonders wichtig ist, ist die gesamte Reformarbeit an der Oberstufe des Gymnasiums.

"Wiener Zeitung": Die neuen reduzierten Stundentafeln bedeuten für manche Lehrer den Verlust ihres Arbeitsplatzes. Ist das nicht ein hoher Preis für diese Maßnahme?

Elisabeth Gehrer: Ich glaube nicht, dass das Bildungssystem dazu da ist, um die 195prozentige Sicherung für jeden einzelnen Arbeitsplatz zu garantieren, sondern um in Qualität zu investieren Es gibt immer wieder Veränderungen und Wechsel. Es gibt auch Fächer, die einfach nicht mehr aktuell sind. Muss man noch Stenographie lernen? Die Stenographielehrer werden mich jetzt steinigen, aber ich stelle die Frage: Muss das, mit allen Aufnahmegeräten, die man heute hat, ein verpflichtendes Fach sein?

"Wiener Zeitung": Hat man nicht an den einzelnen Schulen Konflikte ausgelöst, da jetzt dort ein Kampf zwischen den Lehrkräften stattfindet, welche Bildungsinhalte bevorzugt angeboten werden sollen?

Elisabeth Gehrer: Schon, aber wenn ich Autonomie als Konflikt bezeichne, dann gebe ich einer alten zentralistischen Schulverwaltung, die von oben her anordnet, den Vorzug. Wir haben es so gestaltet, dass die Schulen eine Grundstundentafel haben, die nicht unterschritten werden darf, damit alle Fächer in ihrem Grundausmaß berücksichtigt sind. Und darüber hinaus kann die Schule Schwerpunkte setzen. Deswegen wäre es ja auch so wichtig, dass man die schulautonomen Tage nicht für eine zusätzliche Ferienwoche nutzt, sondern für schulinterne Lehrerfortbildung, wo der ganze Lehrkörper an derartigen Entwicklungen arbeitet.

"Wiener Zeitung": Ein Dauerbrennerthema ist die Schule der 10-14-jährigen. Sind die Schulversuche in Richtung Gesamtschule vom Tisch?

Elisabeth Gehrer: Es hat sich aus vielen Studien gezeigt, dass die Schulorganisation nicht das Ausschlaggebende für Schulqualität ist. Erfolgreicher Unterricht besteht aus der Auswahl des richtigen Stoffes, aus der richtigen modernen Methodik und aus Üben und Festigen, also Nachhaltigkeit. Der Unterricht ist dann erfolgreich, wenn diese drei Dinge optimal sind. Die Schulorganisation hat nur einen minimalen Einfluss. Die Schulversuche in Wien werden weitergeführt, nur haben wir zur Auflage gemacht, dass bei diesen neuerlichen Schulversuchen die Differenzierung am Ende der 8. Schulstufe - wer ist für was geeignet? - gegeben sein muss. Wobei sich eine ganz interessante Entwicklung ergeben hat: Besonders die Hauptschulen, auch in Wien, haben bei unserem Bildungsmonitoring eine gute Benotung bekommen. Man soll stolz sein auf diese Hauptschulen.

"Wiener Zeitung": Ihre Aussagen zum Thema Generationenvertrag haben Aufsehen erregt. Sie haben mit dem Hinweis "Kinder sind die beste Zukunftssicherung" gefragt, worin die Aufgabe der jüngeren Generation im Generationenvertrag besteht und ob es das Leben lebenswert mache, "wenn man von Party zu Party rauscht". Wie stehen Sie dazu, wenn Ihre Aussagen als "naiv" oder "reaktionär" kritisiert werden?

Elisabeth Gehrer: Es gibt einen sehr schönen Leitartikel in der Zeitung "Die Zeit" vom 14. August 2003. Da heißt es: Die 30- bis 40-jährigen, das ist die Generation "double income, no kids". Ich finde es sehr traurig, dass man in Österreich ein Zukunftsthema nicht sachlich diskutieren kann. Ich finde es bedeutend zu kurz gegriffen, wenn man immer nur sagt, die jetzigen Pensionisten sollen eine "Strafsteuer" zahlen. Das halte ich für naiv. Die Frage ist doch erstens: Was ist der Generationenvertrag? Und zweitens: Was tragen die bei, die noch nicht in Pension sind? Denn dass wir nicht von dem, was wir eingezahlt haben, bis 100 Jahre werden leben können, ist uns allen klar, weil das ein Umlageverfahren ist. Meine Schwester hat keine Kinder, das heißt, meine Kinder zahlen ihre Pension. Und jetzt möchte ich wissen, wie dieses Umlageverfahren in Zukunft funktionieren soll. Gescheite Leute, wie in der "Zeit", sagen: "Die beste Zukunftssicherung sind Kinder." Und ich glaube, das ist weder reaktionär noch naiv.

Das Gespräch führte Heiner Boberski