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Verhandlungen über EU-Reform in der Endrunde

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Diplomaten erwarten keine ernsthaften Probleme mit Polen. | Verhandlungsabschluss ist für Oktober geplant. | Brüssel. Die Regierungskonferenz für die Reform der EU wird am Montag feierlich eröffnet. Bis Oktober soll der neue Vertrag fertig sein. Entgegen mancher öffentlicher Äußerungen rechnen Diplomaten nicht mit gröberen Problemen bei der Ausarbeitung.


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Große Einigkeit bestehe unter den Mitgliedsstaaten, die Kernpunkte der Kompromisslösung von EU-Gipfel im Juni nicht mehr zu verändern, hieß es. Auch aus Polen seien keine substantiellen Querschüsse zu erwarten. Die Verhandlungen sollen weitgehend auf Ebene der Rechtsexperten geführt werden. Bisher könnten keine wirklichen Konfliktpunkte identifiziert, diese in Details aber auch nicht ausgeschlossen werden.

Gestützt wurden die Einschätzungen von Diplomaten durch jüngste Aussagen des polnischen Premiers Jaroslaw Kaczynski. Er bezeichnete den Kompromiss der EU-Staats- und Regierungschefs zum künftigen Abstimmungssystem in der Union als "sehr, sehr gut." Auf Betreiben aus Warschau wurde das neue Modell der doppelten Mehrheit (55 Prozent der Mitgliedsstaaten, 65 Prozent der Bevölkerung) auf spätestens 2017 verschoben.

Dann verliert Polen im Vergleich zu den derzeit gültigen Regeln des Nizza-Vertrags gegenüber Deutschland an Stimmgewicht. Deshalb sollen Mehrheitsentscheidungen dann weiterhin von einer relativ kleinen Minderheit von EU-Staaten für einen "angemessenen Zeitraum" aufgeschoben werden können. Premier Kaczynski hatte mehrfach eine Verschiebung um bis zu zwei Jahre verlangt. Das sei seinem Zwillingsbruder, dem Präsidenten Lech Kaczynski, beim EU-Gipfel zugesagt worden.

Ein "Missverständnis"

Inzwischen habe sich diese Darstellung als "Missverständnis" herausgestellt, sagte ein hochrangiger Diplomat. Es sei unklar ob und in welchem Zusammenhang die zwei Jahre tatsächlich gefallen seien. Jedenfalls habe es weder eine mündliche noch eine schriftliche Zusage gegeben, die Blockade von Entscheidungen mit der so genannten Ioannina-Klausel für länger als die bisher üblichen drei Monate zuzulassen. Und üblich sei hier sehr relativ zu verstehen. Die nach dem griechischen Städtchen Ioannina benannte Regel existiert bereits seit 1994 und sei bisher "angeblich einmal angewendet" worden, hieß es in Ratskreisen zur Illustration ihrer Tragweite.

Auch Aussagen des tschechischen Europaministers Alexandr Vondra in einem Zeitungsinterview vom Freitag über einen möglichen neuen Konflikt um die Stimmgewichtung, seien nicht überzubewerten. "Ich glaube nicht, dass das tschechische Regierungslinie ist", sagte ein Diplomat.

Für die Neuerungen durch den Reformvertrag wird das derzeitige Vorsitzland Portugal am Montag erste Textvorschläge präsentieren. Dafür sei der gescheiterte Verfassungsvertrag in fast allen Bereichen die Basis. Nach juristischer Abstimmung durch die Mitgliedsstaaten sollen die EU-Außenminister die Details im September besprechen.

Beim informellen Gipfeltreffen in Lissabon im Oktober sollen die Staat- und Regierungschefs ihren Segen geben. Die Ratifizierung in allen Mitgliedsstaaten ist bis zum Frühjahr 2009 vor den neuen EU-Wahlen geplant. Außer in Irland sei dafür bisher in keinem Land mehr ein Referendum zu erwarten, hieß es.

Großbritannien hat sich zuletzt weit reichende Ausnahmen bei der neuen EU-Grundrechtecharta und Entscheidungen zur Polizei- und Justizzusammenarbeit gesichert, wo es künftig kein Vetorecht mehr geben soll.