Theresa Mays Pläne zur Zukunft der drei Millionen EU-Bürger in Großbritannien stoßen Vertretern der Migranten sauer auf.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
London. Helle Empörung und bittere Kommentare haben bei drei Millionen EU-Bürgern in Großbritannien am Freitag die ersten Stellungnahmen von Premierministerin Theresa May zur Zukunft "der Europäer" auf der Insel ausgelöst. Vor allem beklagen sich die Betroffenen darüber, dass sie im Brexit-Streit weiter als "Verhandlungsmasse" benutzt werden - statt dass die Premierministerin ihnen durch eine simple Garantie den Verbleib im Vereinigten Königreich für die Zeit nach dem britischen Austritt aus der EU zugesteht.
May hatte in einer kurzen Erklärung gegenüber den anderen 27 EU-Regierungschefs in Brüssel von einem "großzügigen und ernsthaften Angebot" gesprochen. Sie hatte versichert, dass sie im Zuge des Brexit keine schon auf der Insel befindlichen EU-Bürger des Landes verweisen und keine Familien spalten wolle. Bedingung dafür sei allerdings, dass die EU eine identische Regelung für britische Bürger auf dem Kontinent treffe und dass Brüssel seine unakzeptable Forderung fallen lasse. In Großbritannien ansässige Bürger vom Kontinent müssten für alle Zeit über volle EU-Rechte verfügen und unter dem Schutz der EU stehen.
Nichts Neues angeboten
Dass der Europäische Gerichtshof auch in Zukunft noch Einfluss in Großbritannien ausübt, ist nach Ansicht Mays und der Brexiteers ausgeschlossen. Stattdessen sollen alle von London akzeptierten EU-Bürger nach britischem Recht als "ansässig gewordene Bürger" eingestuft werden und im Prinzip dieselben Unterhaltsansprüche wie britische Bürger geltend machen können, sofern sie fünf Jahre Aufenthalt in Großbritannien nachweisen können. Fünf Jahre Aufenthalt im Land waren schon bisher Voraussetzung für den Erhalt einer Dauer-Aufenthaltsgenehmigung auf der Insel. Insofern, klagten viele EU-Bürger in Großbritannien, biete May gar nichts Neues - und mit Sicherheit "nichts Großzügiges".
Vor allem, empörte sich am Freitag die Organisation "the3million", die für die Masse der EU-Bürger in Großbritannien spricht, habe May verschwiegen, dass die EU London am 12. Juni bereits einen eigenen, umfassenden Vorschlag unterbreitet hatte, der den in der EU ansässigen Briten volle EU-Rechte auf Lebenszeit, Freizügigkeit im gesamten EU-Bereich sowie Zuzug von Familienangehörigen offerierte.
EU-Chefunterhändler Michel Barnier hatte sowohl Vertreter von "the3million" wie Repräsentanten der etwa 1,2 Millionen Briten, die auf dem Kontinent oder in Irland leben, empfangen. Anregungen dieser Gruppen gingen in den EU-Plan ein. Dagegen hatte Brexit-Minister David Davis eine Zusammenkunft mit diesen Organisationen in den vergangenen Wochen offenbar verweigert.
Das Verhalten Londons sei "abscheulich", meint dazu "the3million"-Gründer Nicolas Hatton. Schon dass man weiter als "Verhandlungsmasse" missbraucht werde, sei abstoßend: "Und wie kaltschnäuzig ist es, von einem ‚großzügigen‘ Angebot zu sprechen, wenn man nur versichert, keine Familienangehörigen deportieren zu wollen?"
Drei Monate versus fünf Jahre
Auch diverse Verbände der auf dem Kontinent lebenden Briten zeigten sich "besorgt", dass Mays harte Haltung ihrer Sache schaden würde. In der Tat schließt das EU-Angebot, von dem kaum jemand in Großbritannien etwas weiß, alle Briten ein, die mindestens drei Monate lang in einem anderen EU-Land als Großbritannien gewohnt haben. Diese drei Monate stehen in scharfem Kontrast zu Mays Fünf-Jahres-Frist.
Erwägen will man in London lediglich, ob in den letzten Jahren Zugezogene die Gelegenheit erhalten sollen, provisorisch im Land zu bleiben, um letztlich auch auf fünf Jahre zu kommen. May kann sich außerdem eine kurze "grace period", eine vielleicht zweijährige "Gnadenfrist" für Spätankömmlinge, vorstellen. Nach Ablauf dieser Frist würden Bürger aus der EU, die nach Großbritannien übersiedeln wollten, genau wie Bürger aus anderen Teilen der Welt behandelt - gemäß einem noch zu definierenden neuen Londoner Einwanderungsgesetz.
Vieles von dem, was London plant, ist derweil unklar, wie zum Beispiel der noch zu bestimmende "Stichtag" für den Übergang zu neuen Regelungen. Die Premierministerin hat außerdem angekündigt, dass das bisherige 85-seitige Antragsformular für Daueraufenthaltsrecht "mit digitalen Mitteln" vereinfacht werden soll. Einzelheiten will May am kommenden Montag im britischen Unterhaus enthüllen.
Der von Mays früherem Kabinetts-Kollegen George Osborne herausgegebene "Evening Standard" wartete am Freitag mit einer Enthüllung eigener Art auf. Osborne, langjähriger Schatzkanzler unter Mays Vorgänger David Cameron, warf der Premierministerin vor, kurz nach dem Brexit-Referendum im vorigen Sommer eine sofortige Garantieerklärung für die EU-Bürger persönlich verhindert zu haben. Die damalige Innenministerin habe als einziges Kabinettsmitglied jenen Plan blockiert. May erklärte am Freitag, sie habe daran "keine Erinnerung".