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Verhärtete Fronten bei den Arbeitszeiten

Von Wolfgang Tucek, Brüssel

Europaarchiv

Das Treffen der EU-Arbeitsminister am heutigen Donnerstag ist die letzte Chance für eine Einigung über die so genannte Arbeitszeitrichtlinie. Während acht Länder um Großbritannien um jeden Preis Ausnahmen von der wöchentlichen Höchstarbeitszeit wollen, sind zumindest sieben Staaten um Frankreich und Schweden entschieden dagegen.


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"Dreh- und Angelpunkt" der Verhandlungen ist das so genannte opt out, erklärte gestern ein hochrangiger Diplomat. Dabei handelt es sich um eine Arbeitszeitverlängerung ohne Zeitausgleich über die gesetzliche wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden hinaus im Jahresschnitt. Beim zweiten strittigen Punkt - der Bewertung von Bereitschaftszeit - sei die Entfernung zwischen den Staaten nicht so groß.

Bei der Arbeitszeitüberschreitung stehen einander jedoch zwei etwa gleich große Blöcke von Mitgliedsländern gegenüber. Großbritannien, Deutschland, Österreich, Slowakei, Polen, Estland, Slowenien und Malta beharren auf einer Beibehaltung der Ausnahmeregelung. Unterstützt werden sie dabei von den Arbeitgeberverbänden. Frankreich, Belgien, Schweden, Spanien, Griechenland, Finnland und Litauen wollen das keinesfalls dulden. Das sehen auch die Gewerkschaften und viele Sozialdemokraten so.

Das Europäische Parlament hat vor zwei Wochen mit großer Mehrheit für ein Auslaufen des opt out nach drei Jahren ab Gültigkeit der neuen Richtlinie gestimmt. Bis Mittwoch gab sich Sozialkommissar Vladimir Spidla als klarer Verfechter der Ausnahmen. Erst einen Tag vor dem Ministertreffen hat die Kommission schließlich einen Kompromissvorschlag unterbreitet. Einerseits wird das Parlamentsvotum aufgegriffen und grundsätzlich ein Ende der Ausnahmen vorgeschlagen. Andererseits soll die Arbeitszeitüberschreitung auch danach - aber nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Kommission - möglich sein. Notwendig dafür sei ein Antrag des Mitgliedsstaats mit einer "ausreichenden Begründung". "Ein bisher einzigartiges Konstrukt", befinden damit konfrontierte Experten. Es sei "sehr schwer zu sagen, ob der Vorschlag eine Brücke zwischen den Extrempositionen schlagen kann", sagen Diplomaten. Eine Einigung schon heute sei jedenfalls "nicht realistisch", zumal der Entwurf der Kommission eben erst seit Mittwoch vorliegt. Noch gestern gab sich der britische Premier Tony Blair äußerst zuversichtlich, seine Position letztlich durchsetzen zu können. Immerhin habe er mit Deutschland einen der Hauptverbündeten Frankreichs an Bord, sagte er der "Financial Times ". Die neue Regierung von Präsident Jacques Chirac will wegen ihrer innenpolitischen Turbulenzen aller Voraussicht nach heute nicht einmal einen Minister schicken. Mit Zugeständnissen würde sich die neue Regierung im Land der 35-Stunden-Woche einen schlechten Start bescheren.

Inaktiv arbeiten

Einig sind sich die Minister dafür im Grundsatz darüber, dass künftig inaktive Bereitschaftsdienstzeiten nur als Arbeitszeit gelten würden, wenn dies nationale Rechtsvorschriften extra vorsehen. In die Berechnung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit würde die inaktive Zeit aber nicht einberechnet. Dies widerspricht wiederum dem Votum des Parlaments, dass aktive und inaktive Bereitschaft als Arbeitzeit haben will.

Sollten sich die Regierungen einigen, geht der Ball wieder zurück zum Parlament. Da die Briten an einer Änderung der derzeitig gültigen Ausnahmeregeln kein Interesse haben, wollen sie während ihrer Präsidentschaft die Angelegenheit nicht zu eifrig verfolgen, heißt es in Brüssel. Damit ginge der Ball an Österreich im ersten Halbjahr 2006.