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Verherrlichung im Wechsel der Gezeiten

Von Winfried Schneider, Prag

Politik

Bis heute schwingt der einäugige Hussitenführer Jan Zizka - als größte Reiterstatue Europas - seinen Morgenstern hoch über dem Zentrum Prags. Dahinter steht als Mahnmal ein gigantischer steinerner Quader. Doch Tschechen wie Touristen scheinen in ihrer Mehrheit das eigentlich Unübersehbare zu übersehen und die vielen nationalen Mythen rund um das Monument schlichtweg zu ignorieren.


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Nachts wurde die Mumie in die geheimen Labors im Keller verfrachtet. Gottwalds Mumie. Dort sollte der einbalsamierte Leichnam des "ersten Arbeiterpräsidenten" der Tschechischen Republik, Klement Gottwalds eben, der Nachwelt erhalten werden. Tagsüber wurde der "tschechische Stalin" dann wieder im gläsernen Sarg ausgestellt. Im hinteren Saal der monumentalen Gedenkstätte auf dem Zizkov, nur wenig östlich über dem Prager Zentrum. Von 1953 bis 1962. Da war die Mumie trotz intensivster Rettungsversuche dann doch endgültig zerfallen. Das Mahnmal dagegen, dieser gigantische steinerne Quader mit Europas größter Reiterstatue davor, das Mahnmal selbst hat alle Wendungen der Geschichte überdauert und steht nach wie vor wie ein erratischer Block an seinem Platz.

Ignorierte Mythen

Bis heute schwingt davor der einäugige Jan Zizka, neun Meter hoch und 16,5 Tonnen schwer, seinen Morgenstern aus Bronze über Prag. Aber Tschechen wie auch Touristen belieben mehrheitlich das eigentlich Unübersehbare doch zu übersehen und die vielen, vielen nationalen Mythen rund um das Mahnmal schlichtweg zu ignorieren.

Was schade ist. Denn genaugenommen vermag die Nationale Gedenkstätte mehr über Tschechiens jüngere Vergangenheit zu erzählen als all die gotischen und barocken Gebäude im "Schönheitsmuseum" zwischen Altstadt und Hradschin.

Es hat schließlich eine mehr als bewegte Geschichte hinter sich. Oder besser: Geschichten, im Plural. Und mit jeder dieser Geschichten wurden ihm, dem Mahnmal, neue Narrative zugeschrieben, für die es in der jeweils "neuen Zeit" zu stehen hatte.

Marek Junek, Experte für Zeitgeschichte im Nationalmuseum, erinnert daran, dass die Geschichte dieses Ortes bis ins 15.Jahrhundert zurückreicht. Damals hat der Hussitenführer Jan Zizka hier die Kreuzritter von Sigmund Zembursky besiegt. "Der zweite Abschnitt der Geschichte dieses Denkmals wurde dann im 19.Jahrhundert geschrieben.", fährt Junek fort. Da ist die tschechische Nationalbewegung erstarkt, und die Hussiten wurden zu einer zentralen Basis im tschechischen Nationalismus. In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts haben dann also die Bewohner von Zizkov, dem Stadtviertel hier, beschlossen, ein Mahnmal zu Ehren von Jan Zizka zu errichten.

1882, unter den Habsburgern, war vorerst an die Verwirklichung eines Mahnmals für den rebellischen Hussitenführer natürlich nicht zu denken. Der Erste Weltkrieg vereitelte das Projekt dann scheinbar vollends. Unmittelbar nach dem Krieg wurde der Verein zur Errichtung des Mahnmals in Zizkov aber gleich wieder neu gegründet

"1918 entstand die Tschechoslowakische Republik. Und da wurden nun Jan Zizka, die Hussiten und alles was mit ihnen in Verbindung gebracht wurde, zur neuen Staatsideologie.", erläutert Marek Junek.

Errichtet hat man das Mahnmal schließlich 1929-32 unter Präsident Masaryk. Und es in der ersten Republik umgehend dem Andenken der Legionäre gewidmet. Jener Tschechen also, die im Ersten Weltkrieg gegen Österreich für die nationale Unabhängigkeit gekämpft hatten.

Profane Kathedrale

Dem Architekten, Jan Zázvorka, muss bei der Planung wohl eine Art profane Kathedrale vorgeschwebt sein. Die monumentale, hohe Halle mit Haupt- und Seitenschiffen, mit Orgelempore, einer Art Altar und einer Krypta soll Erhabenheit ausstrahlen. Und tatsächlich ist es nicht leicht, sich der intensiven Wirkung dieses Raumes zu entziehen. Tritt man durch das Portal, fühlt man sich geradezu winzig und verloren in dieser "Heiligen" Halle mit den Ausmaßen eines Fußballfeldes und einer Höhe von mehr als zwanzig Metern. Schritte und Stimmen hallen wie von weit her, und die Luft ist hier drinnen selbst im Sommer eisig.

Neben dem Zentralssal tritt man in den Saal der Gefallenen. Den hat Max vabinský 1934 mit Mosaiken ausgeschmückt. In einem dieser Mosaike beweint Prag seine Toten, und darüber liegt wie zum Trost der Himmel mit der Milchstraße ausgespannt. Auf einem Marmorsockel steht die Bronzestatue "Der Verwundete", die Jan tursa 1917 geschaffen hat. Daneben sind Verse von Vitezslav Nezval mit Goldbuchstaben in weisse Marmorplatten graviert.

Marek Junek führt den österreichischen Reporter weiter in den angrenzenden Präsidentensaal. Der war gedacht für Staatsempfänge und ist dementsprechend prächtig ausgestaltet als edler Salon. Dekor und Einrichtung, Gemälde und Leuchter, alles im modernistischen Stil der Zwanziger Jahre, sind vollkommen original erhalten geblieben. Dabei war dieser Raum nie seiner Bestimmung gemäß genutzt worden.

Marek Junek: "Die Ausgestaltung des Inneren dauerte bis 1938. In diesem Jahr sollte das Mahnmal dem tschechischen Staat übergeben werden. Aber aufgrund der damaligen politischen Lage ging das nicht, weil ja im September 1938 das Münchner Abkommen unterzeichnet wurde. Und als dann der Zweite Weltkrieg ausbrach, war das Gedenken an die tschechischen Legionäre verboten. Die Wehrmacht hat in der Folge das Gebäude als Lager benutzt."

Nach dem Zweiten Weltkrieg wußte man wieder nicht, was man mit dem mittlerweile bereits höchst symbol- und geschichtsträchtigen Gebäude machen sollte. Jetzt ging es ja nicht mehr so sehr um die tschechischen Legionäre, als vielmehr um das Andenken an den "Zweiten Widerstand", nämlich den gegen die Nazis und ihre Wehrmacht.

Jan Zázvorka wurde also nochmals mit einem Umbau beauftragt und fügte dem Mahnmal den Saal der Sowjetarmee hinzu.

Diesmal sollten ein symbolischer Sarkophag, Mosaiken mit Bildern der einzelnen Waffengattungen und eine Büste von Marschall P.S. Rybalko, des Kommandeurs jener Panzerarmee, die 1945 - damals noch als Befreier - in Prag eingetroffen war, den Besuchern Ehrfurcht abnötigen. In einen Behälter auf einem Marmorsockel haben die Sowjets etwas Erde vom Mamajev-Mahnmal in Stalingrad gefüllt. Erde und auch einige Knochensplitter.

"Die Partei hat dann beschlossen, aus dem Monument einen Proletarischen Pantheon zu machen.", fährt Marek Junek fort. Mit einem Militärischen Kolumbarium, in dem sich das Grab des Unbekannten Soldaten befindet, und ab 1951 ging die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei schließlich dazu über, hier "leitende Repräsentanten der tschechoslaowakischen Arbeiterklasse und der internationalen Arbeiterbewegung" beizusetzen.

Mumifizierter Alkoholiker

Ihren grotesken Höhepunkt erreichte der stalinistische Personenkult dann im Dezember 1953. Fortan wurde im Mahnmal auf dem Prager Veitsberg der mumifizierte Leichnam Klement Gottwalds ausgestellt. So wie jener von Lenin in dessen Moskauer Mausoleum. In den folgenden Jahren sind wohl Tausende von Schulklassen an der Mumie vorbeiparadiert worden. "Klement Gottwalds Leichnam war allerdings in einem sehr schlechten Zustand." weiß Historiker Junek. "Der war ja Alkoholiker gewesen. Und sehr fett. Syphilis hatte er noch dazu. Die mußten dann schließlich die Beine von dieser Mumie amputieren, und ihm Teile der Brust herausschneiden."

Während dieser wohl bizarrsten Periode in der Geschichte des Mahnmals waren im kommunistischen Innenministerium mehr als 150 Leute mit der Pflege von Gottwalds Leichnam befasst. Unter ihnen Ärzte und andere Spezialisten, die in den eingangs erwähnten Labors im Keller versuchten, die Mumie zu erhalten. Manche von ihnen waren für diese Aufgabe eigens aus der Sowjetunion nach Prag eingeflogen worden.

Heute sieht es in diesen Labors aus wie in einem billigen Horror-Film. Es riecht muffig feucht. Teile der Einrichtung der Prosektur stehen zwischen Schutt und Abfällen, einzelne Kacheln haben sich von der Wand gelöst, Kabel und Leitungen rosten dahin. In einem morschen Kasten vermodern langsam Hunderte von Prospekten, die dem alten, dem mittlerweile hinweggefegten Narrativ dienen sollten. "Die Nationale Gedenkstätte auf dem Zizkov ist ein Mahnmal all derjenigen, die ihr Leben dem Kampf um den Aufbau unserer sozialistischen Gesellschaft, für eine bessere Zukunft nächster Generationen und für die Erhaltung des Weltfriedens für die ganze Menschheit geweiht haben.", heißt es in dem Prospekt abschließend.

Kein Wunder, dass 1989, nach der Samtenen Revolution, wieder keiner wusste, was man mit einem historisch derart belasteten Bau machen sollte. Es habe damals sogar Pläne gegeben, eine Art Disneyland daraus zu machen, erzählt Junek. Daraus wäre dann aber doch nichts geworden, und so wurde das Mahnmal im Jahr 2000 schließlich dem Nationalmuseum übergeben. Marek Junek: "Wir pflegen es seit damals. Demnächst wird eine große Instandsetzung beginnen. Dafür haben wir vom Kulturministerium mehr als 250 Millionen Kronen, also circa 8 Millionen Euro, bekommen. Wir beabsichtigen, hier Konzerte und Theateraufführungen zu machen. Und Ausstellungen. Aber es gibt auch Konzepte, hier ein Museum der Neueren Tschechischen Geschichte einzurichten."

Erlebte Geschichte

Bis dahin ist die Nationale Gedenkstätte auf dem Zizkov nur einmal pro Monat der Öffentlichkeit zugänglich. An jedem ersten Samstag im Monat werden dann Besuchergruppen durch die Hallen und das Kolumbarium geführt, vorerst nur auf Tschechisch. Meist ältere und alte Damen und Herren bekommen dann hier erlebte Geschichte vor Augen geführt. Die andere Hälfte der Besucher, das sind sehr junge Leute, für die all der symbolische Prunk bloß noch das Relikt einer für sie schon fernen Vergangenheit ist. n

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Besichtigung (tschechisch): Jeden ersten Samstag im Monat.

Info: 00420-602.664.078

www.pamatnik-vitkov.cz

Busstation U památnika, Bus 133 oder 207. Metro: Florenc