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Verkalkulierte Gigantomanie

Von Marco Büscher

Gastkommentare
Marco Büscher ist Diplom-Betriebswirt und Unternehmensberater mit Fokus Kommunikation, Japan, China und Kapitalmärkte. Foto: Delf D. Danckwerts

G20-Gipfel in Hamburg - überschattete Risiken im Finanzsystem.


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Hamburg, Deutschlands "Tor zur Welt", hat sich bei den Baukosten der Elbphilharmonie verkalkuliert - gigantisch, um den Faktor zehn. Zudem steht Hamburg mit vielen Milliarden Euro für die mehrfach verkalkulierte HSH-Nordbank ein - obgleich der Stadtstaat mehr als 31 Milliarden Euro Schulden hat.

Die G20 dient insbesondere seit 2008, dem Beginn der ersten Phase der Finanzkrise, in dessen Folge Bankenpleiten, massive Kapitalmarktturbolenzen, Billionen Euro schwere Notmaßnahmen für das weltweite Finanzsystem und Finanzmarktregulierung zu Themen wurden, als Forum für den Austausch über Probleme des internationalen Wirtschafts- und Finanzsystems. Insofern ist es frappant, wie wenig dieses Thema bereits im Vorfeld des G20-Gipfels in Hamburg beachtet wurde. Offenbar gab es so geringe Ergebniserwartungen an aktuelle Fragestellungen diesbezüglich, dass diese kaum noch enttäuscht werden konnten. Kalkül oder Selbstzufriedenheit? Ein Zeichen trügerischer Ruhe?

Die seit 2008 weltweit begebenen Adrenalinspritzen in das globale Finanzsystem haben die systemischen Probleme nicht beseitigt. Auch, weil tatsächliche, strenge Regulierungen ausblieben. Billionenschwer ist weiterhin etwa das Marktvolumen großmehrheitlich weniger bekannter derivativer Finanzvehikel wie Credit-Default-Swaps oder Asset-Backed-Securities.

Umstritten ist, wie lange die Kapitalmärkte, die unter anderem durch die hohe Verfügbarkeit und den Anlagenotstand nahezu kostenlosen Geldes, mit dem die wichtigsten Zentralbanken die Märkte versorgt haben, noch derart befeuert werden. Der Zins ist der Preis für Geld. Was ist das Geld wert, wenn es nichts kostet? Es drohen erhebliche Risiken durch eine Korrektur von Kapitalfehlallokationen.

Wenig Handfestes legte das Abschlusscommuniqué des G20-Gipfels dar: Die Mehrheit der G20 konnte US-Präsident Donald Trump nach der vorherigen Ankündigung, aus dem Pariser Klimaschutzabkommen auszusteigen, nicht von einer nachgiebigeren Haltung überzeugen. Auch die Handelspolitik reflektiert erhebliche Meinungsdifferenzen und Vertrauensprobleme.

Applaus gab es in Hamburg ohnehin kaum, ganz im Gegenteil. Während sich die Staats- und Regierungschefs mit dem Hamburger Bürgermeister in der Elbphilharmonie Beethovens 9. Sinfonie mit der "Ode an die Freude" hingaben, ereigneten sich unweit massive Krawalle mit höchst unerfreulichen, bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Bilder der Gewalt, die um die Welt gingen: Verwüstete Stadtviertel, Chaos, Plünderungen, Barrikaden, brennende Autos, annähernd 500 verletzte Polizisten.

Den Menschen in Hamburg hatte der Bürgermeister vor dem G20-Gipfel trotz angekündigter Proteste versprochen: "Wir können die Sicherheit garantieren." Das Eskalationspotenzial während des G20-Gipfels wurde dramatisch unterschätzt, und die Ausschreitungen machten ein verkalkuliertes, fehlkommuniziertes Sicherheitskonzept evident.

Sicherheit und Vertrauen hallen Hamburg und der G20 so nicht nach. Fast wäre man geneigt zu sagen: Hamburg wurde geopfert - für einen zweifelhaften, inhaltlich überschatteten Gipfel der Gigantomanie.