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Verkaufsmonat Mai

Von Barbara Ottawa

Wirtschaft

Alte Weisheiten werden auch von modernen Investoren immer wieder gerne herangezogen, aber Statistiken können bekanntlich lügen.


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Im Mai verkaufen und erst im Oktober wieder kaufen ist ein bekannter Spruch unter Aktieninvestoren. Und auch heuer stürzen sich viele Investoren auf diese angeblich belegte Weisheit, um über die Sommermonate nicht in den Aktienmarkt investiert zu sein. Aber es häufen sich die Gegenstimmen aus Investmenthäusern, die entweder belegen wollen, dass bisher zitierte Statistiken nur halb der Wahrheit entsprechen, oder die meinen, die Welt habe sich zu sehr verändert.

Eine dritte Meinung vertritt Jim ONeill, Vorstandsvorsitzender von Goldman Sachs Asset Management. Seiner Ansicht nach hat sich der Spruch zwar immer wieder bewahrheitet, aber nicht wegen einer ewig währenden Gültigkeit, sondern weil bisher die fundamentalen Wirtschaftsdaten solche Zyklen begünstigt haben.

Ein etwas anderes Bild ergebe sich, wenn man sich die Periode zwischen 2000 und 2009 ansehe: "Alle drei der negativen Mai-Oktober-Perioden waren durch klare Makro-Ursachen hervorgerufen", sagt ONeill und fügt hinzu, dass vor Krisen wie jener in 2001 oder in 2008 auch die vorangegangenen November-April-Perioden negativ gewesen sind.

ONeill stellte auch fest, dass sich zum Beispiel jeweils im dritten Amtsjahr eines US-Präsidenten die Aktienmärkte über den Sommer positiv entwickeln. Die Frage ist also, ob es sich heuer um so ein Ausnahmejahr handelt - es ist nämlich Barack Obamas drittes Amtsjahr, aber bisher hatte noch kein US-Präsident mit der Herabstufung der Kreditwürdigkeit seines Landes zu kämpfen gehabt.

Einfacher haben es da Anhänger der Theorie "Hold in May and go away", das heißt jene Aktien, die man im Winter gekauft hat, einfach zu halten. Einerseits spart man Transaktionskosten, andererseits nimmt man auch Dividendenzahlungen für den Zeitraum mit. Die US-Investmentboutique Bespoke Investment Group will sogar errechnet haben, dass mit dieser Strategie seit 1900 im Dow Jones investiertes Geld 1500 Mal mehr wert wäre, während die "Sell in May"-Strategie nur zu einer Steigerung um das 800-Fache geführt habe. Aber wer ist schon seit 1900 durchgehend im Dow Jones investiert und wer sagt, dass sich die Geschichte wiederholt?

Der Statistiker und Philosoph Nassim Nicholas Taleb, Autor des Buchs "The Black Swan" über "Jahrhundertereignisse" am Kapitalmarkt, formulierte es einmal so: "Wie können wir sagen, dass etwas nur alle 10.000 Jahre passiert, wenn unsere Daten gar nicht so lange zurückreichen? Und nur, weil ich bis jetzt noch nicht gestorben bin, heißt das noch nicht, dass ich unsterblich bin."

Vielleicht konzentrieren sich auch deshalb immer mehr Großinvestoren auf nachhaltige Veranlagung, also nicht nur auf das Einhalten von Umwelt- und Sozialkriterien, sondern auf einen nachhaltigen Umgang mit den Firmen, in die man investiert ist. Das heißt, man investiert in Unternehmen, von denen man überzeugt ist. In diese investiert man dann langfristig und lässt sich nicht von kurzfristigen Marktstörungen beeinflussen. Das gilt auch für Trends, die fundamental Gültigkeit behalten, auch wenn kurzfristige Marktbewegungen dagegen sprechen: Ein Beispiel ist der langfristige Aufschwung von Schwellenländern. Anfang dieses Jahres erlebten Emerging-Market-Aktien einen Einbruch, weil einige Anleger mehr Vertrauen in eine rasche Erholung entwickelter Staaten hatten. Mittlerweile fließt das Geld aber wieder in Emerging-Market-Fonds.

Barbara Ottawa ist freie Journalistin und berichtet vorwiegend über Investitionen und Pensionskassen.