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Verkümmerte Körpersprache

Von Solmaz Khorsand

Politik

Wenn Wiener Gemütlichkeit zum Atmen nicht ausreicht.


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Wien. Nilbar Güres ist auf Entgiftungskur. Jahrelang hat sie ihren Körper belastet. Unbemerkt hat sich das Gift in ihre Zellen geschlichen. Ihre Gesten sind zurückhaltender geworden, ihre Haltung verkrampfter, ihr Geist misstrauischer. Der Name der giftigen Substanz: Wien.

Seit elf Jahren lebt die gebürtige Istanbulerin in Wien. Sie hat an der Akademie für bildende Künste studiert. Hat in den Galerien der Stadt ihre Collagen, Fotografien und Videos ausgestellt. Wurde vom Feuilleton für ihre ironisch feministischen Werken gelobt. Seit einigen Monaten hat die 36-Jährige nun auch ein Atelier in New York. Und sieht sichtlich befreit aus. Das Gift scheint langsam zu entweichen. Wien ist nicht länger Lebensmittelpunkt, sondern lediglich Durchzugsposten. In ihrer aktuellen Ausstellung "Nilbar Wien-Na" in der Galerie Martin Janda in der Eschenbachgasse im 1. Bezirk rechnet sie mit jener Stadt ab, die sie nie willkommen geheißen hat.

"Es gibt mehr als genug Nazis in Wien. Es sind jene Leute, die man natürlich als Nazis erkennt, aber es sind auch deine Nachbarn, Menschen, mit denen du zusammenarbeitest, mit denen du in der U-Bahn fährst und im Bus sitzt. Das ist das Schlimmste, finde ich", sagt sie. Ein bisschen angespannt wirkt sie, die schmale Frau mit den dunklen, mittlerweile kurzen Haaren und den blonden welligen Stirnfransen. Vielleicht ist sie nur müde vom vielen Reisen, erst vor wenigen Tagen war sie in Istanbul, wo ihre Landsleute gegen die Regierung demonstrieren. Aber vielleicht liegt es auch an ihrer aktuellen Stippvisite.

Mit 23 Jahren kam Güres nach Wien. Erwartungen hatte sie keine. Nur gehofft, dass diese kleine, graue und kalte Stadt anders war, offener und fortschrittlicher als die Machogesellschaft, die sie aus Istanbul kannte.

"Wo ist dein Kopftuch?"

Es war das Jahr 2000, als Güres hier ankam. Die schwarz-blaue Regierung war längst angelobt worden. Die Donnerstagdemonstranten zogen noch durch die Straßen. Und Europas drei Weisen standen schon in den Startlöchern, um zu begutachten, wie dieses Österreich mit seinen Minderheiten umgeht.

Und mitten drinnen war Güres in ihrer Aufnahmeprüfung für die Akademie der bildenden Künste. "Wo ist denn dein Kopftuch?", haben die Prüfer die junge Frau am ersten Tag gefragt und sich kräftig auf die Schenkeln geklopft. Das hat sie nicht verstanden. Sie, die studierte Tochter aus einer türkisch-kurdischen Beamtenfamilie, wusste nicht, worüber sich ihre Prüfer so amüsieren. Wusste nicht, dass türkische Frauen in Wien vor allem in eine Schublade gesteckt wurden: gläubige Importbraut eines Gastarbeiters. Güres spielte mit. Auf ihre Weise. Am nächsten Tag trug sie ein Kopftuch. Und auch den Tag darauf. Dann traute sich niemand mehr zu lachen.

Die Frauen mit dem Kopftuch tauchen immer wieder in ihren Arbeiten auf. Keine Opfer stellt sie dar, sondern stolze Frauen, die ihre Traditionen leben, mitunter das Sagen haben in ihrer Dorfgemeinschaft. Wer sich ihre Bilder, Installationen und Videos in der Galerie ansieht, wird keinen Hinweis auf Wien finden. Viel mehr bieten die Arbeiten einen Querschnitt ihrer vergangenen Werke, die sich mit Geschlechterrollen und Identität auseinandersetzen.

Am Eingang ist ein Video zu sehen, in dem ein Junge mit einer Wolfsmaske schreiend einem Mädchen mit Lamm-Maske hinterherläuft. Im zweiten Raum steht eine Säule, die sie mit unterschiedlichen Frauenröcken drapiert hat, vom traditionellen Rock einer Bäuerin bis hin zum kitschigen Negligé. Die Abrechnung mit Wien hat Güres lediglich im Titel, mit dem Zusatz "Na". Es ist vielleicht das einzige Wort, das sie im Wiener Dialekt beherrscht.

Keine Sentimentalität schwingt mit, wenn sie von Wien erzählt. Keine Reminiszenz an die guten alten Studententage, die lauschigen Lokale, die gemütlichen Cafés. "Wien ist gemütlich natürlich, aber ich bin es nicht", sagt sie nüchtern. Anfangs war sie noch offen gegenüber der Stadt und ihren Bewohnern. "Ich habe Menschen noch berührt, wenn ich Witze gemacht habe", erzählt sie. Ihre Umgebung wurde aber nicht gerne berührt. Irgendwann hat sie es sich abgewöhnt. "Ich glaube schon, dass Wien meine Körpersprache ins Negative verändert hat", sagt Güres. In New York versucht sie das rückgängig zu machen. Wieder offener zu werden. Wohl fühlt sie sich dort in Brooklyn, grüßt ihre Nachbarn, hält inne für ein bisschen Smalltalk. Ihre Seele sei für Istanbul oder New York geschaffen, dort, wo es schnell zugeht und auch ein bisschen "hardcore" werden kann.

Bewundernd bestaunen die Galeriebesucher Güres. Es ist unklar, ob sie es allein aufgrund ihrer Kunst tun. "Wo lebst du jetzt?", fragte eine Frau. "In New York", antwortet Güres. Sie lächelt. Beide nicken. Sie wissen: Das Gift ist bald aus ihrem System.