Politische Stabilität und gewandeltes Image sprechen für Deutschland.
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Berlin. Meckern auf hohem Niveau sind die Beschwerden über Deutschland. Ja - die Arbeitsmarkt- und Sozialreformen der Agenda 2010 unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder haben Billigjobs gefördert. Aber Deutschland ist der einzige Staat in der EU, in dem Arbeitslosenquote - derzeit sind es 6,8 Prozent - niedriger ist als 2008. Kein anderer EU-Staat hat Schuldenkrise und Euro-Rettungsaktionen vorläufig so gut überstanden.
Pragmatismus und Flexibilität zeichnen das Land heute aus. Als die Krise über Europa hereinbrach, reagierten Arbeitgeber mit Kurzarbeit und dem Abbau von Überstunden, anstatt ihre Mitarbeiter wie in den USA oder in Großbritannien zu entlassen. Bald waren die Produkte wieder international gefragt: von der Automobilbranche über die Biotechnologie und die chemische Industrie bis zu High-Tech-Medizinprodukten. 169 Milliarden Euro betrug daher der deutsche Leistungsbilanzüberschuss 2012, das entspricht 6,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Und an den internationalen Finanzmärkten gilt Deutschland als so guter Schuldner, dass Anleihen praktisch ohne Zinsen platziert werden können.
Den wirtschaftlichen Erfolg verdankt Deutschland seiner politischen Kultur und Stabilität. Sozialdemokraten und Grüne stellten bei der Euro-Rettung die staatspolitische Räson über parteipolitisches Gezänk und stimmten mit der schwarz-gelben Regierung - auch wenn es ihnen unmöglich machte, den Austeritätskurs von Kanzlerin Angela Merkel im Wahlkampf vollends zu kritisieren. Noch wichtiger: Während in vielen Ländern Europas rechtspopulistische und fremdenfeindliche Bewegungen Zulauf erhalten haben, fassen sie in Deutschland nicht Tritt - und wenn doch, setzt man sich ernsthaft politisch und medial auseinander anstatt das Problem zu bagatellisieren. Zwar gibt es, insbesondere im Osten des Landes, eine rechtsextremistische Szene und der Dilettantismus bei der Aufklärung der NSU-Mordserie war schockierend. Doch gegen rechtsextreme Tendenzen aufzutreten gehört zum Grundkonsens aller im Parlament vertretenen Parteien.
Der Muff ist weg
Deutschland im 21. Jahrhundert ist nicht mehr muffig, spießig und nationalistisch - das haben schon die Besucher der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 zwischen München und Hamburg staunend festgestellt. Dementsprechend rapide steigt der Zuzug aus anderen Staaten; 369.000 Menschen mehr ließen sich im vergangenen Jahr in Deutschland nieder als fortgingen, das ist der höchste Wert seit 1995. Ingenieure und Handwerker strömen ebenso ins Land wie Personen aus der Kreativwirtschaft. In Berlin umfasst der Cluster aus Informations- und Kommunikationstechnik, Film, Design und Musik mittlerweile 36.000 Unternehmen mit 400.000 Mitarbeitern. Sie erwirtschaften einen Jahresumsatz von 26 Milliarden Euro. Wenn selbst die als "arm, aber sexy" geltende Hauptstadt wirtschaftlich im Aufwind ist, kann in Deutschland nur wenig schlecht laufen.