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Verlässlicher Aufschrei gegen den Staat

Von Martyna Czarnowska

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Ein mehrfacher Mord zeigt in Rumänien die Mängel in Polizei und Staatsanwaltschaft auf. Die Zivilgesellschaft bietet der Politik die Stirn.


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Ein 18-jähriges und ein 15-jähriges Mädchen werden verschleppt und ermordet. Vor ihrem Tod kann die 15-Jährige noch den Notruf wählen, sogar zwei Mal. Die Polizei braucht Stunden, um den Standort zu lokalisieren, dann wartet sie weitere Stunden vor dem Haus des mutmaßlichen Täters auf den Durchsuchungsbefehl. In der Zwischenzeit wird das Mädchen getötet. Die Suche nach weiteren Opfern läuft.

Es passierte in Caracal, im Süden Rumäniens. In der Vorwoche trieben die Ereignisse tausende Menschen auf die Straßen, die gegen das Behördenversagen protestierten. Und diese Woche gab es politische Konsequenzen. Der Innenminister kam unter Druck und reichte seinen Rücktritt ein. Auch die Erziehungsministerin musste gehen: Ihr wurde vorgeworfen, den Eltern der ermordeten Mädchen indirekt Mitverantwortung für das Schicksal der Opfer zugewiesen zu haben.

Trotzdem warb Premierministerin Viorica Dancila bei ihren Landsleuten vor kurzem darum, das Vertrauen in die Behörden, vor allem in Polizei und Innenministerium nicht zu verlieren. Die Menschen hätten "keinen Grund, sich zu fürchten", befand sie in einer TV-Ansprache.

Das Vertrauen der Rumänen in ihre Institutionen hält sich aber schon lange in engen Grenzen. Da ist das in die EU wesentlich höher: Dieser vertraut laut einer Eurobarometer-Umfrage jeder zweite Rumäne, was über dem EU-Schnitt liegt. Noch größer ist übrigens die Wertschätzung für die Nato. Nicht einmal jeder vierte Mensch hingegen vertraut der Regierung und dem Parlament in Bukarest. Zahlen einer Studie des Marktforschungsinstituts Inscop vom Mai sind noch ernüchternder: Regierung und die Volksvertretung sind die Institutionen, denen die Rumänen am wenigsten vertrauen.

Der politische Machtkampf, der zwischen den rumänischen Parteien herrscht, trägt dabei zum Misstrauen der Bürger ebenso bei wie die zahlreichen Korruptionsaffären. Die umstrittene Justizreform, die die aktuelle Koalition aus Sozialdemokraten und Liberalen durchsetzen will, sorgt auch für viel Unmut.

Doch ist es nicht nur die regierende PSD, die für Missstände verantwortlich zu machen ist. Vielmehr sei ihr Vorgehen typisch für die rumänische Politik, findet die Politologin und Antikorruptionsaktivistin Alina Mungiu-Pippidi. "Die Parteien haben den Staat in großem Ausmaß politisiert", analysiert sie für die Rechercheplattform Balkan Insight. "Viele Leute befinden sich auf ihren Posten wegen ihrer Verbindungen, nicht wegen ihrer Verdienste - und das wirkt sich auf die Leistung unserer Institutionen aus." Die Unzulänglichkeiten in Polizei, Staatsanwaltschaft und Notfallwesen zeigen sich in Fällen wie in Caracal extrem.

Jedoch hat diese Politik in Rumänien ein starkes Gegengewicht: die Zivilgesellschaft. Zehntausende Rumänen harrten an eiskalten Wintertagen bei Protesten gegen die Pläne zur Justizreform aus. Demonstrationen gab es ebenso nach dem Brand in einem Nachtklub, in dem vor fast vier Jahren 64 Jugendliche starben. Proteste der Bürger konnten auch schon zum Sturz einer Regierung führen. Der Druck auf die Politik ist konstant, und auch wenn es Zeit braucht, ein System zu ändern - auf die rumänische Zivilgesellschaft ist noch Verlass.