Kanada wirbt auf internationaler Ebene mit naturnahem Urlaub und Abenteuer-Reisen in unberührte Landschaften. Eine der Hauptdestinationen ist die Provinz Britisch Kolumbien, die von den noblen Skiorten in den Küstenbergen bis zum Heliskiing in den Rocky Mountains einfach alle Ferienträume zu erfüllen verspricht. Doch hinter den glänzenden Katalogbildern verbirgt sich eine weit weniger glänzende Realität. Umweltschützer und Menschenrechtsexperten schlagen unisono Alarm: Megaprojekte bedrohen hochsensible Ökosysteme, die Rechte der dort lebenden Ureinwohner werden mit Füßen getreten. Indianer sind nur als Werbe-Aufputz geduldet.
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Nachhaltiges Wirtschaften, ein vorsichtiger Umgang mit den natürlichen Ressourcen wäre gerade in der Tourismusbranche von großem Vorteil: Weshalb sollte man eine teure Reise buchen, wenn man sich letztlich in einer wüsten "Landschaftsriune" wiederfindet? Massentourismus und Immobilienspekulationen bringen den Investoren satte Gewinne, entziehen den Ureinwohnern aber die Lebensgrundlage: ein intaktes Ökosystem und die Rechte auf Nutzung des Landes.
Keinerlei Verträge
Da die Indianernationen, die in der nunmehrigen Provinz zu leben kamen, mit einer einzigen Ausnahme (Nisga'a) keinerlei Verträge mit Bundes- oder Provinzregierung eingegangen sind, ist praktisch ganz Britisch Kolumbien Indianerland. Die Rechte der Indigenen sind in Artikel 35 der kanadischen Verfassung grundsätzlich geschützt. 1997 wurden vom Obersten Gerichtshof Kanadas in der sogenannten "Delgamuukw-Entscheidung" die angestammten Landrechte der Indianer als "Aboriginal Title" anerkannt.
Sowohl die Bundes- als auch die Provinzregierung weigern sich, Verfassungsartikel und Gerichtsentscheid in die notwendige Praxis umzusetzen. Dies hauptsächlich auf Druck von Großinvestoren, die eine Schmälerung ihrer Gewinne befürchten, wenn sie tatsächlich gezwungen wären, die Ansprüche der Indigenen in der Planung ihrer Projekte zu berücksichtigen.
Die Indianer wenden sich nicht grundsätzlich gegen alle Projekte, die nach dem Ermessen der Weißen als ökonomische Entwicklung gelten. Das wirtschaftliche Treiben der Ureinwohner spielt sich zum Teil durchaus im selbem Bereich ab. Aber nicht ausschließlich.
Raub und Raubbau
Ein Beispiel, wie die Rechte der Indigenen immer wieder verletzt werden, sowohl durch die Entscheidungen der Behörden als auch durch Übergriffe von Einzelpersonen, die sich ein Kanada ohne Ureinwohner wünschen, ist das Sun Peaks Ski-Feriendorf.
Die Shuswap nennen das Gebiet "Skwelkwek'welt", was man in etwa mit dem Begriff Hochgebirge übersetzen kann.
"Seit undenklichen Zeiten haben wir auf unserem Land gelebt, ohne es zu zerstören", sagt Chief Arthur Manuel von den Shuswap. "Das Land versorgt uns mit allem, was wir täglich brauchen." Daher ist Nachhaltigkeit für die Shuswap kein überstrapaziertes Schlagwort ohne Inhalt, sondern gelebte Wirtschaftsform.
Pockenverseuchte Decken
Die Sun Peaks-Anlage befindet sich auf dem 1862 gegründeten Neskonlith Douglas Reservat, innerhalb des traditionellen Shuswap Territoriums. Ursprünglich hieß es Tod Mountain Ski Resort, benannt nach dem Pelzhändler John Tod, der die Shuswap mit pockenverseuchten Decken versorgte. Nach einer verheerenden Pockenepidemie gegen Ende des 19. Jahrhunderts befand der Gouverneur der britischen Krone das Reservat als zu groß für den kleinen Rest Indianer und verkleinerte das Gebiet mit einem Federstrich auf seine heutigen engen Grenzen, was aber von den Shuswap nicht anerkannt wird.
Vor 40 Jahren war Sun Peaks ein kleiner Skisportort mit einer einzigen Piste und einfachen Übernachtungsmöglichkeiten. Es gab weder Hotels noch große Restaurants. 1992 kaufte Masayoshi Ohkubo für Nippon Cable die Anlage und begann sogleich mit der Erweiterung: Skipisten und Lifte, Golfplatz, Wohnhausanlagen, Baugrundaufschließungen, Errichtung des noblen Delta Hotel-Komplexes.
Verhandlungspartner von Nippon Cable, betreffend die notwendigen Kauf-, Pacht- und Sonderverträge für die entsprechenden Gebiete, war die Provinzregierung. Zwar scheinen im Verhandlungsprotokoll die Unterschriften der Vertreter einiger Untergruppen der Shuswap auf, doch ein echtes Mitwirken am Verhandlungsablauf war ihnen nicht gestattet.
Schäden, die durch die künstliche Beschneiung der Skipisten am Wasserhaushalt der Region entstehen, sind bereits evident. Werden entlang der Kunstschneepisten demnächst Kunststoffbäume aufgestellt, weil die echten schon in der Papierfabrik verarbeitet worden oder an Wassermangel zu Grunde gegangen sind? Dazwischen ausgestopfte Grizzlybären und Plastikhirsche, nach dem Motto: "Wie es einmal war"?
Proteste
In einem offiziellen Schreiben informierten im Jahr 1996 die Häuptlinge der Little Shuswap, Adams Lake und Neskonlith Band die Firma Nippon Cable über ihre Landansprüche. 1998 übermittelten die Stammesältesten dem Unternehmen den Beschluss, der gegen jeden weiteren Ausbau bis zur Klärung der Landrechtsfrage gerichtet ist. Trotzdem begann Nippon Cable, die mit der österreichischen Liftbaufirma Doppelmayer kooperiert, im Sommer 2000 mit der nächsten Ausbauphase.
Die Shuswap gründeten das "Skwelkwek'welt Protection Center", das Janice Billy engagiert leitet. Von Beruf ist sie Lehrerin für die Shuswap-Sprache. Für den Schutz der Region arbeitet sie eng mit den Stammesältesten zusammen, zu denen auch ihre Schwiegermutter Irene gehört. Irene Billy gilt als der Spiritus Rector der Organisation. Mit Demonstrationen und Protestcamps vor Ort ebenso wie mit Hilfe von internationalen Organisationen und Medienarbeit machen die beiden Frauen auf die Situation aufmerksam.
Nach einer Entscheidung, die das Berufungsgericht von Britisch Kolumbien im Rechtsstreit der Haida-Nation gegen die Provinz am 27. Februar 2002 fällte, hoffen die Shuswap nun auf einen Baustopp. Im Fall der Haida geht es um die Vergabe von Schlägerungslizenzen. Die Haida opponierten - ebenso wie die Shuswap - gegen die wirtschaftlichen Aktivitäten der nicht-indigenen Unternehmer auf ihrem jeweiligen traditionellen Land. In beiden Fällen setzte sich die Provinzregierung über die Einwände der Indigenen hinweg, ohne ihnen ernsthaft eine Parteienstellung zuzubilligen. Die gerichtliche Verfügung verurteilt diese Praxis und wirft der Provinz eine Verletzung ihrer historischen Verpflichtungen den Indigenen gegenüber vor. Das Gericht verlangt von der Provinzregierung wie vom betroffenen Unternehmen, die Indigenen von Anfang an in die Verhandlungen einzubinden.
Unter diesem Aspekt fordert Janice Billy in einem Schreiben vom 15. März Masayoshi Ohkubo von Nippon Cable zu einer Änderung seiner Haltung auf.
Ein Naturparadies
Ein weiterer Brennpunkt im Widerstand der Indianer gegen Ausbeutung und Bevormundung durch weiße Unternehmen ist Cayoosh Creek. Das unberührte Naturparadies liegt im ursprünglichen Territorium der St'at'imc-Nation, das sich von den Küstenbergen hinter Vancouver bis in das innere Hochland von Britisch Kolumbien erstreckt. Cayoosh Creek ist eines der letzten ungestörten Habitate von Grizzlybären, sowie Lebensraum für Vielfraße, Bergziegen und Rotwild. Im Zusammenhang mit der Bewerbung von Vancouver als Austragungsort der Olympischen Winterspiele 2010 soll dieses Tal in ein großes Skisportzentrum verwandelt werden. Die St'at'imc-Nation lehnt dieses Projekt einstimmig ab.
Die Betreiber des Projekts sind Nancy Greene, eine ehemalige Olympiasiegerin im Abfahrtslauf, und ihr Mann Al Raine. Obwohl sie versprochen haben, die Wünsche der Indianer zu respektieren, gehen die Vorbereitungsarbeiten für den Bau des Skisportzentrums zügig voran. Die Zufahrtsstraßen für die Erschließung des Gebietes werden bereits gebaut.
"Sutikalh"
Das hochalpine Gebiet um das Tal des Cayoosh Creek hat für die St'at'imc auch eine tiefe religiöse Bedeutung. Es ist die Gegend, in der "Sutikalh", der "Wintergeist", beheimatet ist. Er hilft den Menschen auf der Suche nach spiritueller Kraft und psychischer Regeneration. Die St'at'imc haben das Protestcamp, das sie in Cayoosh Creek gegen die Zerstörung des Landes errichtet haben, "Sutikalh" genannt.
"Ein rein kommerzielles Projekt solcher Größe verträgt sich nicht mit dem Charakter dieser bedeutungsvollen Landschaft. Es würde die tieferen, und - für die St'at'imc weitaus wichtigeren - Werte, die hier bestehen, völlig zerstören", betonen die St'at'imc. "Der Punkt ist nicht: Wieviel Geld wollen die St'at'imc dafür? Der Punkt ist: Das ist St'at'imc-Land und wir sind eine souveräne Nation. Die Regierung kann nicht einfach ein Stück Natur zerstören (lassen), das ihr gar nicht gehört", schreibt Alaina Tom in der lokalen Zeitung "Tsyucwminte R Tmicw" ("Always Take Care of the Land").
Verhaftungen
Protestcamps sind den Behörden und den Unternehmen ein Dorn im Auge. Sogar Angestellte der Unternehmen glauben sich zur Selbstjustiz berechtigt und rücken den Camps mit Bulldozern und Feuer zu Leibe. Die Polizei reagiert auf solche Übergriffe nicht. Dagegen werden Indianer bei Kundgebungen zum Schutz ihres Landes oft verhaftet.
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Die "Interior Alliance" (eine Union der indigenen Nationen Shuswap, St'at'imc, Southern Carrier, Nlaka'pamux und Okanagan im Hochland von Britisch Kolumbien) wurde für ihre Bildungsarbeit in Wasserrecht und Wasserschutz mit dem "Meritious Achievement Award" ausgezeichnet. Diese Urkunde verlieh im Februar 2002 das lokale Olympische Komitee in Salt Lake City im Rahmen des "Spirit of the Land Award", einem von ihm ausgesetzten Umweltpreis. Mag. iur. Nicole Schabus ist Österreicherin und unterstützt als Beraterin für internationale Angelegenheiten Chief Arthur Manuel und die Interior Alliance. - Das Skwelkwek'welt Protection Center im Internet: www.geocities.com/spabc123