Mehr Arbeitslose, aber auch mehr Beschäftigte in Österreich.
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Brüssel/Wien. Es klang wie ein verzweifelter Hilfespruch von der Kommandobrücke eines Schiffes, den EU-Kommissionssprecher Jonathan Todd absetzte. "Union, Regierungen, Wirtschaft und Sozialpartner müssen alles tun, um eine verlorene Generation zu verhindern - die ein ökonomisches und soziales Desaster bedeuten würde." Für die Alarmstimmung sorgten die am Montag verlautbarten Arbeitslosenzahlen mit über 25 Millionen Beschäftigungslosen in der Union. Besonders brisant: Mehr als fünf Millionen 18- bis 25-Jährige, rund 23 Prozent der EU-Bürger dieser Altersgruppe, finden keine Stelle.
Es ist das 16. Monat in Folge, in dem die EU-Statistikbehörde Eurostat mit negativen Zahlen vom Arbeitsmarkt aufwartet. Egal ob Euro-Zone oder gesamter EU-Raum, die Daten zeichnen ein desaströses Bild. 18,2 Millionen Männer und Frauen im gemeinsamen Währungsraum sind arbeitslos - der höchste Wert seit Start der Währungsunion im Jahr 1999. Dort liegt die Arbeitslosenquote bei 11,4 Prozent; in der gesamten Union sind es 10,5 Prozent.
Gleich zwei Millionen Jobs gingen in den vergangenen zwölf Monaten in Europa verloren. Düster ist die Lage in Spanien, der viertgrößten Volkswirtschaft des Kontinents, sowie in Griechenland: Ein Viertel der Bevölkerung hat in beiden Ländern keinen Job. Portugal, wo 15 Prozent arbeitslos sind, konkurriert mittlerweile mit Griechenland um die zweifelhafte Führungsrolle, in welchem Land schneller immer mehr Personen entlassen werden. Und in Italien liegt die Arbeitslosenquote mit knapp elf Prozent auf dem höchsten Stand seit 2004.
Keine Trendwende absehbar
Geht es nach Ernst & Young, stehen noch schlechtere Zeiten am Arbeitsmarkt bevor: Die Unternehmensberater prognostizieren in einer Studie 19 Millionen Arbeitslose im Euro-Raum bis Anfang 2014: "In einem schwierigen Umfeld werden die Unternehmen ihre Belegschaft voraussichtlich weiter abbauen, um Produktivität und Profitabilität zu erhalten." Auch der kurzfristige Ausblick des Internationalen Währungsfonds verspricht mit einer um 0,3 Prozent geschrumpften Wirtschaft in den Ländern der Währungsunion für 2012 keine Besserung.
Vergleichsweise gut sind die Zahlen für den österreichischen Arbeitsmarkt ausgefallen. Nach Eurostat-Berechung hat Österreich mit 4,5 Prozent die niedrigste Arbeitslosenrate in der EU, nach nationaler Berechnungsmethode sind es 6,1 Prozent. Auf der Haben-Seite stehen 50.000 neue Jobs, die in den vergangenen zwölf Monaten geschaffen wurden - gar 160.000 sind es seit 2008. Doch gleichzeitig kratzt Österreich an der Negativ-Marke von 300.000 Beschäftigungslosen.
Strittig sind die Ursachen des scheinbaren Paradoxons von mehr Jobs und gleichzeitig mehr Arbeitslosen: "Neue billige Arbeitskräfte aus dem Ausland verursachen den Anstieg." Das ist die Leseart des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, der die Öffnung des österreichischen Arbeitsmarktes für mittel- und osteuropäische Länder 2011 kritisiert. Eine Sichtweise, die "so sicher nicht aufrechthaltbar ist", widerspricht der Arbeitsmarkt-Forscher Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Ihm zufolge sorgte die Öffnung des Arbeitsmarktes für ein stärkeres Beschäftigtenplus. "Und selbst wenn ich auch in Ungarn nach einem Kellner suche, wird die arbeitslose Kassiererin in Salzburg trotzdem keinen Job erhalten", sagt Hofer.
Die Freiheitlichen nutzen die neuen Daten, um Stimmung gegen die Öffnung des heimischen Arbeitsmarktes für Rumänen und Bulgaren zu machen. Im Gegensatz dazu wünscht sich die Industriellenvereinigung Maßnahmen, "um Österreich als Zuwanderungsland attraktiv zu halten". Betrieben suchten laut Experten Hofer insbesondere Facharbeiter und Techniker.
Bei der Jugendarbeitslosigkeit kann sich Österreich dagegen nur bedingt vom europäischen Negativ-Trend abkoppeln: Zwar stieg die Zahl der nicht Beschäftigten unter 25-Jährigen lediglich um 2,4 Prozent und ist die drittniedrigste der EU; lediglich Deutschland und die Niederlande rangieren vor Österreich. Doch fast jeder Zehnte heimische Jugendliche findet derzeit keinen Job.