Rudolf Thienel hält die Verwaltungsgerichtsbarkeit für | dringend erforderlich. | "Kaum ein Gesetz ist vollkommen | verständlich". | "Wiener Zeitung": Was sind die größten Probleme des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH)? | Rudolf Thienel: Eine quantitativ starke Belastung - mittlerweile Überlastung - des Gerichtes in bestimmten Fachbereichen insbesondere in Asylfällen. Die Zahl der Beschwerden steigt hier stark an - allein heuer sind es bis jetzt schon weit mehr als 3000. Am VwGH sind derzeit im Asylbereich drei Senate eingesetzt, dennoch besteht ein Rückstand von mehr als 4000 Fällen. Wenn das so weiter läuft wie jetzt, ist der Punkt absehbar, an dem der VwGH zeitlich nicht mehr zu Rande kommt.
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Was könnte man tun?
Das sind verfassungspolitische Entscheidungen, die die Politik treffen und auch verantworten muss.
Wie wird es sein, wenn der Asylgerichtshof seine Arbeit aufnimmt?
Bis Mitte nächsten Jahres - wenn der neue Asylgerichtshof wie geplant kommt - werden wir mit den Asylbeschwerden 6000 bis 7000 Fälle im Rückstand sein. Dazu werden die neuen Grundsatzentscheidungen kommen, die innerhalb einer Frist von sechs Monaten erledigt werden sollen. Wenn sehr viele solche Grundsatzentscheidungen anfallen, die subtiler Natur sind, kann das eine erhebliche zusätzliche Belastung sein. Ferner sollen die Säumnisbeschwerden an den VwGH möglich bleiben, wenn der Asylgerichtshof untätig bleibt.
Eine Zeit hindurch wird das nebeneinander bewältigt werden müssen: die anhängigen alten Fälle, dazu die neuen Grundsatzentscheidungen. Das ist mit dem jetzigen Stand an Personal schwierig zu bewältigen.
Der VwGH ist unzufrieden, weil der Zugang in Asylsachen zum VwGH nur auf Grundsatzentscheidungen beschränkt ist. Einerseits möchte man Entlastung, jetzt beschwert man sich…
Es ist natürlich für den VwGH keine begrüßenswerte Entwicklung, dass er als eine Kontrollinstanz in einem großen Bereich beseitigt wird. Damit verliert man eine wichtige rechtsstaatliche Garantie, nämlich die Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der rechtsstaatlichen Standards in allen Verwaltungsbereichen. Wie weit das durch einen Asylgerichtshof kompensiert werden kann, bleibt abzuwarten.
Was halten Sie von Amnestieregelungen?
Amnestieregelungen halte ich im Prinzip für juristisch problematisch. Sie sprechen wahrscheinlich das Bleiberecht an. Das scheint auf den ersten Blick eine humanitär positive Entscheidung. Damit werden aber auch Grundsätze des Rechtsstaates und der Gleichbehandlung der Menschen in Frage gestellt. Es werden damit nämlich die Menschen, die sich an das Gesetz gehalten haben, letztlich schlechter behandelt als diejenigen, die sich zunächst einmal nicht ans Gesetz halten. Dass es Härtefälle gibt, lässt sich in der Rechtsordnung nie völlig vermeiden. Wesentlich ist, dass man Regeln findet, die rechtsstaatlichen Standards entsprechen und Gleichbehandlung sicherstellen.
Wie ist das, wenn man als Richter ein Gesetz vollziehen muss, das man selbst nicht für gutheißt?
Wenn man den Eindruck hat, dass das Gesetz verfassungswidrig ist, muss man es beim Verfassungsgerichtshof anfechten. Der Fall, dass man persönlich eine andere Regelung bevorzugt hätte, kann sich natürlich stellen. Aber da muss man akzeptieren, dass man als Richter die Aufgabe hat, ein Gesetz anzuwenden, so wie es vom Gesetzgeber beschlossen wurde.
Der Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Karl Korinek, hat eine Reform des Fremdenrechts gefordert. Schließen Sie sich dem an?
Was die Gesetzesgüte betrifft, hält sich das Fremdenrechtspaket 2005 meines Erachtens im Großen und Ganzen im Rahmen dessen, was man sich von der neueren Legistik erwarten kann. Es gibt natürlich Bestimmungen, die schwer verständlich und auch solche, die verfassungsrechtlich problematisch sind. Allerdings wird man kaum ein Gesetz finden, das vollkommen verständlich ist und bei dem man in keinem Punkt verfassungsrechtliche Probleme finden kann.
Es ist auch problematisch, wenn man Gesetze laufend und in sehr rascher Folge ändert. Dann können sich die Menschen und die Behörden sehr schwer darauf einstellen.
Was sagen Sie zur Verwaltungsgerichtsbarkeit?
Es ist ein dringendes Gebot der Zeit, dass es eine echte mehrstufige Verwaltungsgerichtsbarkeit gibt. Das österreichische Modell einer einstufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit geht zurück auf das Jahr 1867. Das passt in einer Zeit, in der sehr viel mehr Verwaltungscausen anfallen, nicht mehr. Dazu kommen Anforderungen grundrechtlicher Natur - insbesondere Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der in Zivil- und Strafsachen eine Entscheidung durch ein Tribunal verlangt, das volle Sachverhaltskognition hat. Das kann der VwGH schon rein faktisch nicht leisten.
Welche Entlastung werden die Verwaltungsgerichte für den VwGH bringen?
Es ist ein Problem, dass derzeit in weiten Bereichen jede Verwaltungssache bis zum VwGH als dem einzigen Verwaltungsgericht geht. Der VwGH hat nur begrenzte Möglichkeiten, die inhaltliche Behandlung einer Beschwerde abzulehnen. Wenn es aber echte Verwaltungsgerichte gibt, könnte man es auch rechtsstaatlich rechtfertigen, dass es - nachdem schon ein echtes Gericht entschieden hat - engere Grenzen und Voraussetzungen gibt, unter denen der VwGH die Sache inhaltlich behandeln muss.
Was wünschen Sie sich für eine Verwaltungsreform?
Die Verwaltungsreform müsste mit einer Aufgabenreform beginnen. Die Frage ist, ob man es schafft, in bestimmten Bereichen nennenswerte Deregulierungen vorzunehmen, also ob man auf das eine oder andere Gesetz verzichten kann.
Rudolf Thienel ist seit 1.Oktober 2007 Vizepräsident des VwGH. Damit endete sein Dienstverhältnis zur Universität Wien, wo er seit 1993 als Professor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht lehrte, dem er ab 2005 auch vorstand. Thienel war Mitglied des Österreich-Konvents.