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Verlustgefühle

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

Der Mensch sehnt sich nach Sicherheit, dafür ist er sogar bereit, ein Stück - mitunter sogar ein großes Stück - seiner Freiheit zu geben. Nun leben wir aber in einer Zeit geballter Unsicherheit.


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Zwar sind die großen existenziellen Sorgen wie Krieg, Hunger, Vertreibung aus unserem Bewusstsein verschwunden und allenfalls noch als apokalyptische Alpträume präsent. Dafür melden sich andere, vergleichsweise kleinere Gefahren mit Macht und großem medialen Getöse zurück: Wie wird es mit unserem Geld, dem Euro, weitergehen, wie mit der Wirtschaft, ja überhaupt mit Europa?

Belastbare Antworten darauf hat niemand, kein Experte und Politiker und auch kein Leitartikler. Alles nur Behauptungen - gut gemeinte Beschwichtigungen wie endzeitliche Untergangsszenarien -, die im besten Fall als von den Tatsachen gestützte Wahrscheinlichkeitsrechnungen daherkommen.

Das alles war in vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten auch nicht viel anders, die Welt ist nun einmal sehr kompliziert. Früher allerdings hatten die Bürger, auch wenn sie noch als Untertanen firmierten, bestimmte Gewissheiten, auf die sie sich verlassen konnten - oder zumindest hatte es den Anschein, was am Ende aber auf dasselbe herauskommt. Zuerst war der eigene Horizont beschränkt, geografisch wie bildungstechnisch. Später, als die große Welt bereits im Wohnzimmer und am Arbeitsplatz Einzug zu halten begonnen hatte, gab es noch immer Institutionen und Autoritäten, die Bestand hatten: Der Nationalstaat und die Parteien respektive ihre Aushängeschilder. Diese erweckten irgendwie ein diffuses Vertrauensgefühl, das Sicherheit ausstrahlte, auch wenn es mehr dem Bauch als dem Kopf entsprungen war.

Heute sind uns sogar diese letzten ein solches Grundvertrauen einflößenden Persönlichkeiten abhanden gekommen. Welcher Politiker - in Österreich, in Europa und darüber hinaus - vermittelt denn noch dieses diffuse Bauchgefühl, Bescheid zu wissen, wie all die Probleme zu lösen wären? Nicht einmal die Inszenierung mag mehr gelingen.

Man kann das natürlich auch positiv sehen. Für die allermeisten Menschen bleibt es aber wohl ein Verlust von Sicherheit. Noch dazu, wo kein Stück Freiheit hinzugewonnen wurde.