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Junge Männer pendeln zwischen Beirut und Damaskus - ein gefährlich verdienter Lebensunterhalt.
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Beirut. Es ist kurz nach 15 Uhr, die Nachmittagssonne brennt. Im "Mövenpick Ressort", einem der besten Fünf-Sterne-Hotels Beiruts, halten mehrere westliche Geschäftstreibende in der Hemingway-Bar ein Meeting ab und sinnieren über das Land und seine Zukunft. "Was war es doch in den letzten Jahren für ein lukratives Geschäft. Bald ist damit Schluss. Wir werden uns wohl anderswo in Nahen Osten orientieren müssen", meint Jan P. zu seinen Freunden und runzelt die Stirn. Gesprochen wird hier nur Französisch. Der deutsche Geschäftsmann betreibt gemeinsam mit einem libanesischen Partner seit einigen Jahren ein Möbelgeschäft in der libanesischen Hauptstadt. "Doch wo willst du noch investieren in der Region. Schau dir die Lage an. Bald wird es überall schwierig im Nahen und Mittleren Osten, denn IS und andere Probleme beseitigen jede politische Stabilität", ergänzt sein niederländischer Kollege Peer K.
Alte Wunden, neue Gefahren
Beim Sitzen in einem der Luxushotels hat man ein mulmiges Gefühl. Wie eine Seuche, die sich rasant und unabhängig von Grenzen verbreitet, hat sich die Syrien- und Irakkrise in den Libanon, in dem Schiiten, Sunniten und Christen leben, ausgebreitet. Wer sich etwa beim Pool des "Phoenicia" zu orientalischen Rhythmen von Nancy Ajram und bei einer leichten Brise vom Meer sonnt, sollte vergessen, dass das einstige Nachbarhotel "Holiday Inn" zerbombt wurde. Die Krater der Mörsergranaten aus dem Bürgerkrieg, der Beirut von 1975 bis 1990 in einen christlichen und einen muslimischen Teil zerriss, sind omnipräsent und holen die wenigen Touristen auf den Boden der Realität zurück. Die Hotels an Beiruts malerischer Mittelmeerbucht waren bevorzugtes Angriffsziel.
Von Stabilität ist auch sonst im Beiruter Alltag nicht viel zu spüren. Verstärkte Polizeipräsenz, Straßensperren und Personenkontrollen prägen das Stadtbild. Auch der Norden des Landes ist bereits Schauplatz von Kämpfen zwischen der Hisbollah und Einheiten der Terrormiliz IS (Islamischer Staat, Anm.). In Beirut liegt auch eine gewisse Nervosität in der Luft. Überall ist sie zu spüren. Weil es im ganzen Land kaum öffentliche Verkehrsmittel gibt, ist das Taxi das bevorzugte Verkehrsmittel der Touristen.
Der Verkehr ist genauso chaotisch wie in Teheran. Die einzige Regel ist, dass es keine Regeln gibt. Chaotisch wälzt sich die Blechlawine sechsspurig durch die Stadt. Besonders häufig sind der VW Käfer und der alte VW Bus zu sehen. Mangels Ampeln haben die Beiruter Autofahrer eine spezielle Handbewegung und ihre Hupe parat, um miteinander zu kommunizieren.
Doch eigentlich galt Beirut bis vor wenigen Jahren noch als Geheimtipp für Orientliebhaber. Als "Paris des Orients" wurde es bezeichnet. Das Land hat auch eine interessante Geschichte, Kultur und Natur. Vom Libanon aus, dessen Gebirge mehr als 3000 Meter steil aufragen, reicht der historische Blick viel tiefer als nur in die Einschusslöcher der jüngsten Vergangenheit. Die Geschichte geht zurück bis zu den alten Ägyptern, Phöniziern, Griechen und Römern. Interessierte Touristen, die sich die architektonischen Juwelen des Landes ansehen, blieben in diesem Sommer aber aus.
"Die Europäer sind mit einem hohen Bedürfnis an Sicherheit ausgestattet. Wenn sie Euronews einschalten und die Bilder des Grauens in Syrien, im Irak und in Gaza sehen, dann vergeht ihnen blitzartig die Lust auf den Libanon", erklärt Jan. Sein Möbelgeschäft befindet sich im Stadtteil Clemenceau. Die Produkte hier sind teuer und stilmäßig an Biedermeier und Barock orientiert. Doch der Umsatz lässt in den vergangenen Wochen immer mehr zu wünschen übrig.
"Zwischen Pest und Cholera"
Einer seiner neuesten Mitarbeiter ist Jankin J. Er hat breite Schultern, ist sehr groß und sein enges Adidas-Shirt ist abgenutzt. Sein Gesicht wirkt sehr müde. Der 24-jährige Syrer ist einer von vielen Pendlern zwischen Damaskus und Beirut. Seine Familie lebt in Syrien, er arbeitet im Libanon, da "man mehr verdiene". Zwei Mal in der Woche, wenn die Grenze geöffnet wird, macht sich Jankin auf den Weg in seine Heimat, um der Familie Geld und Lebensmittel zu bringen.
"Sie können es sich gar nicht vorstellen, was wir hier durchmachen. Dieses Hin und Her zwischen zwei unruhigen Städten. Es ist ein Balanceakt zwischen Pest und Cholera. Das ständige Nachdenken über die ungewisse Zukunft zerfrisst mich innerlich. Ich rauche, um mich abzulenken. Werde ich morgen noch einen Job haben? Sehe ich meinen Sohn je wieder? Gibt es irgendwann einmal Ruhe in unserer Region? Das sind alles Dinge, die mich immer begleiten, wenn ich die Möbel reinige", erzählt Jankin in gebrochenem Französisch.
Jankin hatte Glück, dass Jan einen Möbelreiniger benötigte und ihn vor drei Wochen anstellen konnte. Zuvor hatte Jankin als Nachtportier in einem Hotel gearbeitet. Wegen der geringen Auslastung wurden aber zehn Kollegen und er entlassen.
Auslastung gering
"Wir haben hier in Beirut in manchen Hotels nicht einmal 15 Prozent Auslastung. Das kann ja nur ein Verlustgeschäft sein und die Ersten, die das spüren, sind die Billigarbeiter in der Gastronomie und der Rezeption im Hotel", resümiert Jankin und holt seine Brieftasche hervor. "Schauen Sie, das war meine Hotelmitarbeiterkarte. Ich hab gern mit den Touristen gearbeitet. Sie hatten alles, was ich nie haben werde", resümiert er traurig.
Für umgerechnet 450 Euro geht der junge Mann nun 50 Stunden in der Woche Möbel putzen. "Solange es noch geht", so sein schnippischer Nachsatz. Jedes Mal, wenn er in Damaskus seine Mutter in den Arm nimmt, kommen ihm die Tränen. "Ich will hier nicht ihr Mitleid und Mitgefühl auslösen, aber meine Mutter hat mir gesagt, dass sie jedes Mal Angst hat, dass ich nicht mehr wiederkomme. Wenn sie so spricht, dann verstehe ich die Welt nicht und will sterben. Ich sage ihr dann immer, sie soll auf meinen Sohn aufpassen, wenn mir etwas passieren sollte", so Jankin weiter. Über seine Frau will er gar nicht sprechen. Sie ist gleich nach der Geburt des Kindes mit einem anderen Mann durchgebrannt. Seither hält sich Jankin von Frauen fern. "Wenn du einmal so verletzt worden bist, willst du mit ihnen nichts mehr zu tun haben. Ich habe meinen Sohn und meine Familie und das ist genug", erklärt er.
Grenze ist nur kurz offen
Jankin ist nicht der einzige Pendler. Kurz nach 19 Uhr stehen rund 70 junge Männer an einer Beiruter Busstation und wollen nach Syrien. "Wenn die Grenze offen ist, dann nur für wenige Stunden. Das wollen dann natürlich alle ausnutzen", erklärt der Busfahrer beim Kassieren des Fahrgeldes. Die Busfahrt ist ein Spiegel der jüngsten Ereignisse im multireligiösen Libanon. Sie bringt das Dilemma in der Region deutlich zum Vorschein. Längst geht es nicht mehr um den Kampf zwischen den tief zerstritten Anhängern und Gegnern des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad.
Die Makroebene des Konflikts heißt Schiiten gegen Sunniten. Und dann treibt ja auch der IS sein Unwesen in der Region. Die zentrale Frage hierbei: Wer hat in der Region die Vormacht? Die sunnitische Mehrheit unter der Federführung Saudi-Arabiens oder der Iran mit seinem "schiitischen Halbmond" aus verbündeten Staaten und Politikern. Und wohin führt der barbarische Feldzug des IS?
Für viele Syrer ist der Libanon ein Rettungsanker. Syrien mischt schon lange im Libanon mit. Viele Schiiten im Libanon unterstützen den ihrer Konfession nahestehenden Alawiten Assad, die meisten Sunniten hingegen stehen auf der Seite seiner Gegner. Syrien hatte - mit der Unterstützung des Iran - jahrzehntelang die Rolle einer Vormacht im Libanon gespielt. Auch lange nach dem Ende des 15-jährigen Bürgerkriegs 1990 standen syrische Soldaten im Land. Ihr Abzug konnte erst nach dem Attentat auf Premier Hariri im Jahr 2005 durchgesetzt werden. Der Iran ist durch seinen verlängerten Arm der Hisbollah, eine schiitische Partei und Miliz, noch immer tief im politischen Wirken in der Region verankert.
Politik und deren Folgen ist Jankin und seinen Freunden gleichgültig. "Ich will nur endlich wieder ein friedliches Leben in Damaskus haben. Ich hoffe, dass die Lage bald so sein wird, dass ich nicht mehr gezwungen bin zu pendeln und mein Geschäft in Damaskus wiedereröffnen kann", so die Hoffnung des jungen Vaters. Bis dahin muss er aber weiterhin nach Beirut pendeln.