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"Du bist so egoistisch!", brüllt Karl und schmeißt die Haustür hinter sich zu - das Ende eines Abends, der so schön hätte werden können.
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Er begann ganz so, wie viele Partnerschaftsratgeber es empfehlen: "Überraschen Sie ihn mit einem romantischen Abendessen. Ziehen Sie sich etwas Nettes an. Schauen Sie ihm verheißungsvoll in die Augen." Doris hatte eine Lasagne gekocht, Karls Lieblingsessen. Die roten Kerzen warfen ihren dämmerigen Schein auf das Damast-Tischtuch. Doris hatte sich nach der Arbeit umgezogen und sah in ihrem cremefarbenen Kleid wirklich hinreißend aus. Und auch das mit den verheißungsvollen Blicken hatte sie sich fest vorgenommen.
Es hätte ein schöner Abend werden können. Hätte. Aber Doris hatte beim Dekorieren des Tisches beschlossen, heute endlich das leidige Thema "Teppichboden oder Laminat" mit Karl zu klären. Die beiden wollen das Wohnzimmer verschönern und können sich in der Frage des Fußbodenbelages nicht einigen. Karl will Teppichboden. Doris möchte Laminat. "Du musst dich auch mal durchsetzen gegen Karl", hatte ihre Freundin Elvira gesagt, und Doris kam zu dem Schluss, dass Elvira Recht hatte. Sie steckte einfach zu oft zurück. Diesmal sollte es anders sein!
Streiten ist natürlich. So nahm das Unheil seinen Lauf. Schon nach drei Gabeln von der köstlich duftenden Lasagne war die Stimmung dahin und ein heftiger Streit begann.
Streit kommt in den besten Beziehungen vor, auch bei Paaren, die schon lange und sehr glücklich zusammen sind. Sich zu streiten ist deshalb auch kein Grund, zerknirscht oder niedergeschlagen zu sein. Es ist passiert, ja, na und! Eine Partnerschaft zerbricht nicht an einem einzigen Streit und auch an mehreren nicht. Wir alle haben uns schon heftig gestritten und doch verstehen wir oft nicht so richtig, was da passiert. "Ich weiß auch nicht, wie es so weit gekommen ist", sagt Karl zu seinem unrühmlichen Abgang. In seiner Erinnerung gab irgendwie ein Wort das andere. Seine Wut wurde immer größer, und am Ende sah er keine andere Möglichkeit mehr, als aufzuspringen und aus dem Haus zu laufen.
Schuld ist das Adrenalin. Wer so wütend ist wie Karl, der kann nicht mehr klar denken. Das liegt vor allem an den biologischen Begleiterscheinungen der wachsenden Wut. Sich zu streiten veranlasst den Körper, große Mengen von Adrenalin auszuschütten. Adrenalin ist ein Hormon, das den Menschen darauf vorbereitet, vor einer Gefahr zu fliehen. Er fühlt sich bedroht. Er ist in Alarmstimmung. Er will handeln. Das ist einer der Gründe, warum es im Zusammenhang mit Beziehungsstreit immer wieder auch zu Tätlichkeiten kommt. Was wenig bekannt ist: Diese körperlichen Angriffe auf den Partner gehen häufiger von Frauen aus und seltener von Männern. Unbestritten sind männliche Attacken aber gefährlicher, weil Männer in aller Regel über deutlich mehr Kraft verfügen.
Sich zu streiten ist für Männer noch schwieriger als für Frauen, da sich bei ihnen die durch das Adrenalin ausgelöste körperliche Erregung sehr viel langsamer abbaut als bei Frauen. Das hat biologische Gründe.
Streit vermeiden. Sich zu streiten verringert die Leis-tungsfähigkeit des menschlichen Gehirns. Auch das hat mit dem Hormon Adrenalin zu tun. Es will erreichen, dass der Mensch sofort etwas tut, nicht, dass er nachdenkt. Das erklärt, warum Paare in solch einer Situation nie zu einer befriedigenden Lösung finden. Die menschliche Biologie steht dem im Wege.
Sich zu streiten ist auch aus psychologischen Gründen nicht empfehlenswert. Ein Streit ist ein Machtkampf. Das sieht man bei Doris und Karl sehr genau. Jeder der beiden will unbedingt gewinnen. Jeder will als Sieger vom Platz gehen. Doch das ist nicht möglich. Beenden Sie also jeden Beziehungsstreit, so schnell Sie können - mit einem Unentschieden! Das Ziel sollte sein, eine Lösung zu finden, die beide Partner einander näher bringt.
1. Der Streitstopp. Karl hätte, als er merkte, wie wütend er war, das Gespräch mit Doris beenden können. Er hätte sagen können: "Ich bin sehr wütend. Ich möchte mich erst beruhigen, bevor wir weiterreden." Dann hätte er seine Jacke nehmen und die Tür in aller Ruhe hinter sich zuziehen können, um seinen geliebten Abendspaziergang um den nahen See zu machen. Die Bewegung und die frische Luft hätten ihm gut getan.
Nach einer halben bis dreiviertel Stunde hätte Karl sich beruhigt. Sein Puls wäre wieder normal gewesen. So hätte Karl zumindest die Eskalation am Schluss des Gesprächs vermieden. Bei Frauen vergeht die erste, heftige Wut oft schon in zwanzig bis dreißig Minuten, wenn sie sich eine Auszeit nehmen. Männer brauchen dazu etwas länger.
Karl und Doris sollten nach seinem Spaziergang das Streitthema besser nicht wieder erörtern. Wir kommen da gerade nicht weiter, könnten die beiden feststellen, und das Thema für eine Weile vertagen.
2. Die Schnittmenge vergrößern. Karl hätte aber auch schon viel früher reagieren können, schon als Doris das Thema Teppichboden oder Laminat anschnitt. "Wir konnten uns bislang nicht einigen. Gibt es nicht noch eine dritte Möglichkeit, die wir beide gut finden?" Karl hätte auf diese Weise klar gemacht, dass er an einer Lösung interessiert ist, mit der beide gut leben können.
In einer Partnerschaft müssen wir unser Augenmerk auf die Schnittmenge richten, auf die Überschneidungen zwischen uns und unseren Ansichten und dem Partner und seinen Überzeugungen. Mit Argumenten ist bei unterschiedlichen Ansichten nichts auszurichten. Das ist der große Irrglaube, der dem oft propagierten Ausdiskutieren von Problemen zu Grunde liegt.
Es ist ein Irrtum, dass das menschliche Handeln rationalen Faktoren folgt. Unser Handeln folgt zwar unserem Denken. Unsere Art zu denken ist aber geprägt durch die Erfahrungen, die wir in unserem bisherigen Leben gemacht haben. Jeder Mensch hat andere Erfahrungen hinter sich. Jeder Mensch ist deshalb eine eigene Welt, sagt die Psychologie. In einer Beziehung treffen mithin zwei Welten aufeinander. Wer bei diesem Aufeinandertreffen die Unterschiede betont, der landet unweigerlich in einem Machtkampf. Und früher oder später vor dem Scheidungsrichter.
3. Vorwürfe unterlassen. Karl hatte sich gerade die dritte Gabel Lasagne in den Mund geschoben, als Doris ihren Angriff begann. "Kannst du nicht einmal nachgeben!", schimpfte Doris, als Karl zum wiederholten Male auf seinem Wunsch bestand. Natürlich hat Karl in den acht Jahren, die er mit Doris zusammen ist, schon mehr als einmal nachgegeben. Und natürlich weiß Doris das auch. Trotzdem, wenn wir uns streiten, dann neigen wir zu solchen ungerechten Vorwürfen. Wir greifen den anderen an. Wir eskalieren den Konflikt. Nun ist nicht mehr der Bodenbelag im Wohnzimmer das Thema, jetzt geht es um den Charakter des anderen. Wer den Charakter des Partners angreift, der erreicht, dass ein Konflikt eskaliert. Das liegt daran, dass er mit seiner Äußerung die Akzeptanz des anderen in Frage gestellt hat. Der andere hat nicht andere Wünsche als ich - er hat einen mangelhaften Charakter.
Das Ergebnis solcher Vorwürfe ist niemals Einsicht. Ja, du hast Recht. Ich sollte wirklich öfter nachgeben - eine derartige Antwort erwarten wir nicht wirklich. Sie ist auch nicht möglich. Das Ergebnis eines Angriffs ist absehbar, wir wissen es im Grunde von vornherein: Der andere wird sich verteidigen. Er wird ebenfalls zu einem ungerechten Vorwurf übergehen.
4. Eskalation vermeiden. "Du hast es gerade nötig", hat Karl zurückgeschossen. Das wollte er nicht auf sich sitzen lassen! Hatte er nicht neulich erst die Idee mit dem Urlaub auf La Gomera gehabt, weil sie doch so gerne ans Meer wollte und er in die Berge? Er und nicht auf ihre Bedürfnisse eingehen? Da hörte sich doch wirklich alles auf!
Vermeiden Sie Eskalationen. Verständlich ist es, wenn Karl sich angegriffen fühlt und zurückschlägt, klug aber ist es nicht. "Das ist ziemlich unfair, was du da sagst", wäre eine bessere Lösung. "Ich will mich nicht streiten", eine andere.
Streit zu vermeiden darf aber niemals bedeuten, die Auseinandersetzung mit dem Partner zu vermeiden, mit seinen Wünschen, Hoffnungen und Zielen. Dabei müssen wir lernen, dass der Andere tatsächlich anders ist, andere Vorstellungen vom Leben hat und andere Ziele. Das zu verstehen ist manchmal schwer. Es ist in jedem Fall schwerer, als wutschnaubend aus dem Haus zu laufen und dabei mit der Tür zu knallen.