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Vermengung von Innen-und Außenpolitik

Von Wendelin Ettmayer

Politik

Während der letzten 50 Jahre hat sich das internationale Umfeld der Außenpolitik, die Strukturen sowie das Wertbewusstsein wohl mehr geändert als die 500 Jahre vorher. Neben der neuen Legitimation und den neuen Playern in der Außenpolitik wurden gerade während der letzten Jahre zahlreiche nationale Aufgaben auf eine internationale Ebene übertragen, wodurch eine Vermengung von Innen- und Außenpolitik entstanden ist. Vom neuen Wertbewusstsein kann man wohl insofern sprechen, als sich der Begriff der Souveränität geändert hat und der Krieg, zumindest bei uns, nicht mehr einfach als eine Verlängerung der Politik mit anderen Mitteln angesehen werden kann. Diese letzte Folge beschäftigt sich mit der Vermengung von Innen- und Außenpolitik.


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Gab es lange Zeit hindurch eine ziemlich klare Trennung zwischen Außen- und Innenpolitik, war die Außenpolitik weitgehend dem Staatschef als "domaine reservé" vorbehalten, so kam es während der letzten Jahrzehnte zu einer Vermengung von Innen- und außenpolitischen Themen, Problemen und Lösungsmöglichkeiten. Die Trennung konnte so lange aufrecht erhalten werden, als sich die Außenpolitik auf die Sicherheit und die Stellung des Staates in der internationalen Gemeinschaft konzentrierte, die Innenpolitik hingegen mit jenen innerstaatlichen Fragen beschäftigte, die den Bürger direkt betrafen.

Ab dem Zeitpunkt, wo die Außenpolitik begann, Fragen zu behandeln, die das Wohl der Bürger direkt betrafen, ist die vorher bestehende Trennungslinie mehr und mehr weggefallen: Gesundheit, Umweltschutz, Transport und Verkehr, wirtschaftliche Zusammenarbeit, Bildung und selbst die Sozialpolitik bekamen mehr und mehr eine internationale Komponente. Eine Lösung all dieser Probleme im ausschließlich nationalen Rahmen erwies sich in einer globalisierten Welt als immer schwieriger.

Enge Verflechtungen

Wie eng diese Verflechtung heute ist, geht auch sehr deutlich aus einem Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen hervor, den dieser unter dem Titel "Wir, die Völker: Die Rolle der Vereinten Nationen im 21. Jahrhundert" der Millenniums-Versammlung der Vereinten Nationen im März 2000 vorlegte. Ausgehend von der Überlegung, dass sich die Welt seit Gründung der Vereinten Nationen von einer "inter-nationalen" zu einer globalen entwickelt hat, verlangte der Generalsekretär, "gemeinsam zu lernen, diese Globalisierung zu nützen". Gleichzeitig zeigte er eine Reihe von Problemen auf, wo eine Lösung nur zusammen mit den innerstaatlichen Organen gefunden werden kann: Die grenzüberschreitende Umweltverschmutzung und die Folgen der Industrialisierung auf den globalen Klimawandel müssen in diesem Sinne bewältigt werden. Auch gegen die internationale Kriminalität, die die neuesten Technologien nützt, um weltweit mit Drogen, Waffen, Edelmetallen oder sogar mit Menschen zu handeln, müsse man zusammenarbeiten.

Die Bekämpfung der Armut, die Gesundheit, die Bildung, die Eindämmung der Bevölkerungsexplosion, die Emanzipation der Frauen und die Schaffung von Arbeitsplätzen nannte der UNO-Generalsekretär ebenfalls als Themen, die sowohl eine innerstaatliche als auch eine internationale Dimension haben. Insgesamt sind dies vor allem Problemkreise, die zunächst in den Aufgabenkreis nationaler Regierungen fallen. Dabei ist eine Problemlösung ohne internationale Zusammenarbeit kaum mehr möglich. AIDS hat sich von Zentralafrika aus in die ganze Welt ausgebreitet, und die Bevölkerungsexplosion führt zu den transkontinentalen Migrationsströmen.

Auch wenn auf internationaler Ebene manchmal immer noch mehr Absichtserklärungen als Problemlösungen angeboten werden, so ist es wichtig, dass die Notwendigkeit der Zusammenhänge erkannt wurde und die durch die Zusammenarbeit gebotenen Chancen genützt werden.

Der Wahlkreis bestimmt

die Außenpolitik

Wenn nun einerseits internationale Themen auch innenpolitisch relevant geworden sind, und sich andererseits die Außenpolitik dem Votum der Wähler stellen muss, was ist dann natürlicher, als dass sich zuständige Politiker auch bei außenpolitischen Entscheidungen nach der Meinung ihrer Wähler richten? Vielfach werden auch außenpolitische Fragen bewusst in die innenpolitische Diskussion gebracht, wenn man sich dadurch zusätzliche Wählerstimmen erhofft.

So haben die Abrüstungsverhandlungen der letzten Jahrzehnte im amerikanischen Kongress immer wieder eine Rolle gespielt, nicht zuletzt deshalb, weil sie eine "weichere" oder "härtere" Haltung im Kalten Krieg widergespiegelt haben. Die Gewährung der Meistbegünstigungsklausel mit China ist ebenfalls immer wieder Gegenstand innenpolitischer Diskussionen in den USA, so wie es während der letzten Jahre keine Wahlkampf gab, bei dem nicht die Sanktionen gegen den Irak eine gewisse Rolle gespielt hätten.

Ohne Meinungsumfragen wird im Weißen Haus, wie Dick Morris in seinem Buch "Behind the Oval Office" schildert, auch keine außenpolitische Entscheidung getroffen. Die amerikanische Intervention auf dem Balkan, oder das NATO-Bombardement im Kosovo erfolgten jedenfalls erst, als man sich ziemlich sicher war, die Mehrheit der Amerikaner würde die Aktion für gut und richtig halten. Bodentruppen wurden von Vornherein ausgeschlossen, der Krieg durfte nicht zu lange und der Kompromiss mit Präsident Milosevic nicht zu weich sein, um die Wahlchancen von Vizepräsident Al Gore nicht zu beeinträchtigen.

Was kurzfristig

Wählerstimmen bringt

Diese enge Verknüpfung von Außen- und Innenpolitik hat jedenfalls dazu geführt, dass außenpolitische Entscheidungen primär nicht mehr danach gefällt werden, was langfristig für das eigene Land und die internationale Gemeinschaft am besten ist. Man richtet sich vielmehr danach, was kurzfristig Wählerstimmen bringt. Als Präsidentschaftskandidat George W. Bush gefragt wurde, wie er zu einer Kosovo-Intervention stehe, antwortete er kurzerhand: "Für mich ist die entscheidende Frage, ob es für Amerika gut ist." Nun spricht für diese Antwort einmal, dass sie ehrlich ist, und dass dabei immerhin die Interessen eines ganzen Landes, noch dazu einer Supermacht, ins Kalkül gezogen werden. Was geschieht aber, wenn jede außenpolitische Entscheidung ausschließlich danach getroffen wird, was der Gemeinde eines Politikers, seinem Bezirk oder seiner Provinz gerade nützt?

Diese Verknüpfung von Innen- und Außenpolitik ist ein internationaler Trend, der so lange anhalten wird, als mit Stellungnahmen zu außenpolitischen Themen im eigenen Wahlkreis Stimmen gewonnen werden können. Dies gilt gerade für jene Bereiche, wo die Grenzen zwischen nationaler Souveränität und Supranationalität eher fließend sind, wie in weiten Bereichen der EU. Wenn in Brüssel alle möglichen Entscheidungen getroffen werden, die das Leben der EU-Bürger direkt berühren, dann ist es nur natürlich, dass diese Bürger bzw. deren Vertreter eine Mitsprache haben wollen. Dies umso mehr, als Entscheidungsprozesse innerhalb der EU oft eher undurchsichtig erscheinen.

Dabei ist es interessant zu sehen, dass es in den einzelnen EU-Ländern unterschiedliche Themen sind, an denen man aus nationalen Überlegungen festhalten will: So waren die Briten bisher nicht bereit, von ihrer nationalen Währung, dem Pfund, abzurücken oder er EU-Kommssion Entscheidungsbefugnisse in Steuerfragen einzuräumen. Nordische Länder wiederum halten an ihrem Alkohol-Monopol fest, und in Österreich hat die Frage der Neutralität einen besonders hohen innenpolitischen Stellenwert.

So sehr nun die Einbindung der Außenpolitik in einen demokratischen Entscheidungsprozess demokratiepolitisch zu begrüßen ist, so muss man doch wissen, dass längerfristige Aspekte oder größere internationale Zusammenhänge wegen kurzfristiger innenpolitischer Überlegungen nicht aus den Augen verloren werden dürfen.

Volksabstimmungen

Eine besonders intensive Form der Verbindung von Innen- und Außenpolitik kann eine Volksabstimmung darstellen. So beschlossen Österreich, Finnland und Schweden mit einer Volksabstimmung, der EU beizutreten. Die Schweizer lehnten in einer Abstimmung den Beitritt zum großeuropäischen Wirtschaftsraum ab, die Franzosen sprachen sich nur mit einer ganz knappen Mehrheit für den Maastricht-Vertrag aus und die Dänen waren in einer Volksabstimmung dagegen. Die Australier haben sich in einer Volksabstimmung gegen die Abschaffung der Monarchie ausgesprochen.

In Westeuropa gibt es nur drei Länder, die in ihrer Verfassung kein Referendum vorsehen. In der Schweiz hat es immer wieder Volksabstimmungen auch zu außenpolitischen Themen, etwa über den UNO-Beitritt gegeben, und in Frankreich hat Charles de Gaulle über Volksabstimmungen die Legitimität der V. Republik entscheidend gestärkt und die Unabhängigkeit Algeriens beschlossen.

Eine Volksabstimmung zu einem außenpolitischen Thema ermöglicht nicht nur eine umfassende Behandlung außenpolitischer Aspekte, es wird dabei auch ein Bezug zu allen möglichen innenpolitischen Fragen hergestellt. So wurde im Zusammenhang mit den Volksabstimmungen über die EU-Beitritte in den einzelnen Ländern alles behandelt, was innen- oder außenpolitisch relevant war, von Steuerfragen bis zur Sozialpolitik, von den Umweltnormen über den Zweitwohnsitz bis hin zur Landwirtschaft.

Nicht nur formelle

Legitimation

Diese umfassenden Diskussionen haben zweifellos einmal den Vorteil, dass sich der Wähler über politische Entscheidungen, die einen substantiellen Wandel mit sich bringen könnten, eingehend informieren kann. Darüber hinaus ermöglicht eine Volksabstimmung nicht nur die formelle Legitimation einer neuen Politik, durch einen Volksentscheid kommt es auch zu einer inhaltlichen Legitimation eines bestimmten politischen Weges: Nur wenn der Wähler davon überzeugt ist, dass ein bestimmtes Projekt oder eine neue Politik seine Lebensqualität erhöht, wird er sich dafür aussprechen. Damit wurde in der Innen- und Außenpolitik ein Gleichklang erreicht: Legitimiert wird eine politische Vorgangsweise nur dann, wenn sie dem persönlichen Wohle des Bürgers dient.

Sicherlich werden so auch mögliche Gefahren sichtbar. Auf kurze Sicht gegebene Vorteile können ausschlaggebend sein zu Lasten von längerfristigen Perspektiven, die für ein Land letztlich vielleicht vorteilhafter wären. Pressure-groups und Partikularinteressen können die Oberhand jenen gegenüber behalten, die das Gemeinwohl im Auge haben. So sehr also eine Volksabstimmung auch der Außenpolitik eine Legitimation auf breiterer Basis ermöglicht, eine bessere Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit außenpolitischer Entscheidungen muss damit nicht einhergehen.

Welche Schlußfolgerungen kann man aus all diesen Entwicklungen ziehen? Zunächst ist wohl die Feststellung berechtigt, dass sich auch das Wesen der internationalen Beziehungen während der letzten 50 Jahre stärker verändert hat als die 500 Jahre vorher. Dies betrifft sowohl das internationale Umfeld, die Strukturen, die das außenpolitische Geschehen tragen sowie das Wertebewusstsein.

Wegfall von Grenzen

Was das internationale Umfeld betrifft, so sind mit der Globalisierung viele Grenzen weggefallen. Revolutionen im Bereich der Hochtechnologie und der Kommunikation hatten Auswirkungen sowohl darauf, was das Wesen der Macht im 21. Jahrhundert ausmacht, als auch auf die Souveränität. Was die Strukturen betrifft, die das außenpolitische Geschehen tragen, so gibt es mit den NGOs, den multinationalen Gesellschaften und den Medien neue Player. Neue Player gibt es, vor allem in den Demokratien, auch in der Außenpolitik insofern, als in vielen Fragen das Volk direkt entscheidet und nicht mehr die Regierung alleine. Darüber hinaus wurden manche nationalen Aufgaben auf eine internationale Ebene übertragen, wodurch eine Vermengung von Innen- und Außenpolitik entstanden ist. Von einem neuen Wertebewusstsein kann man insofern sprechen, als die neue Legitimation der Außenpolitik nicht mehr so sehr die Erhöhung der Macht des Staates, als vielmehr die Förderung der persönlichen Wohlfahrt der Bürger ist. Darüber hinaus ist in manchen Gegenden der Welt Krieg nicht mehr einfach eine Verlängerung der Politik mit anderen Mitteln. Viele dieser Entwicklungen haben ihre eigene Logik, folgen ihren eigenen Gesetzen, verlaufen auf ihre eigene Weise "geordnet". Somit gibt es nicht eine neue Weltordnung-sondern eine Unzahl von neuen Institutionen und Verhaltensmustern, die an der Gestaltung der Zukunft der Welt mitwirken. Eine Vielzahl von Playern organisieren das internationale Geschehen nach ihren Vorstellungen und auf ihre eigene Weise, vielfach aber, und das ist wesentlich, ohne Rücksicht auf den anderen.

Hat sich früher die Außenpolitik um einige wenige Themen wie Frieden und Sicherheit konzentriert, so kann heute fast jede Frage, die politisch relevant ist, auch auf internationaler Ebene behandelt werden. Wenn es aber nun am internationalen Parkett eine Unzahl von Playern gibt, die alle, ihren eigenen Interessen folgend, eine Vielzahl von Themen behandeln, was anderes soll daraus resultieren, als eine "geordnete Anarchie". Geordnet, weil jeder Akteur nach seiner eigenen Logik und im Rahmen seiner eigenen Ordnung handelt, Anarchie aber deshalb, weil keine umfassende, übergeordnete Ordnung anerkannt wird. Für die Gesamtentwicklung ist letztlich niemand verantwortlich, bestehende Autoritäten werden in Frage gestellt, Einzelinteressen treten oft in den Vordergrund.

Eigene Identität wahren

Es würde einer eigenen Abhandlung bedürfen auszuführen, wie sich ein Land wie Österreich in dieser Situation verhalten soll. Einige Grundzüge zeichnen sich ab: Um mit der internationalen Entwicklung Schritt halten zu können, muss man sich der Globalisierung stellen. Gleichzeitig gibt es das Bedürfnis der Menschen, die eigene Identität zu wahren, die allerdings, gerade was Österreich betrifft, stets eine starke übernationale Komponente hatte. Dass es in einer solchen Situation von Vorteil ist, wenn es über grundsätzliche Fragen eines Landes einen möglichst großen Konsens gibt, liegt auf der Hand.

Dr. Wendelin Ettmayer ist österreichischer Botschafter in Kanada.