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Das Drama um 43 verschollene Studenten scheint sich einem traurigen Ende zu nähern.
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Mexiko Stadt/Bogotá. Die traurige Nachricht kam via Facebook: Alexander Mora Venancio ist der erste der seit dem 26. September in Mexiko verschwundenen 43 Studenten, dessen sterbliche Überreste eindeutig identifiziert werden konnten. Nicht die mexikanische Staatsanwaltschaft, sondern Studenten der linksgerichteten Bildungseinrichtung "Normal Rural de Ayotzinapa" teilte den Fund am Samstag mit. Offenbar wollten die Studenten den offiziellen Ermittlungsbehörden zuvorkommen.
"Kameraden, an alle, die uns unterstützt haben. Ich bin Alexander Mors Venancio. Ich bin einer der 43 Gefallenen der Drogenregierung des 26. September. Heute am 6. Dezember haben die argentinischen Experten meinem Vater bestätigt, dass einige der Knochenteile zu mir gehören", postete die Schule am Wochenende unter einem Foto des Opfers auf ihrer Facebook-Seite. Sie zählt bereits mehr als 57.000 Follower.
Wenig später bestätigte auch Felipe de la Cruz, Sprecher der Familien der Verschwundenen, die entsprechenden Meldungen. Laut Angaben von de la Cruz stammen die Überreste, die für den DNS-Test verwendet werden konnten, aus Leichenteilen, die aus dem Fluss San Juan in der Ortschaft Cocula unweit einer Müllhalde gefischt werden konnten. Dort sollen nach Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft die Studenten ermordet worden sein. Offenbar gab es bei der Übermittlung der Ergebnisse auch Pannen. Carmen Mendoza, eine der Mütter der verschwundenen Studenten, sagte der Tageszeitung "El Universal", sie habe von der Identifizierung des Studenten aus dem Internet erfahren. Dabei hätten die Eltern die Ersten sein müssen, die darüber informiert würden, sagte Mendoza. Auch das in dem Fall engagierte Zentrum für Menschenrechte Tlachinollan wurde von den argentinischen Forensikern nicht informiert und zeigte sich überrascht.
Universität Innsbruck analysiert in Verschwiegenheit
Die mexikanische Generalstaatsanwaltschaft wollte sich erst später dazu äußern. Ob sie bereits mehr weiß und ob bereits weitere Überreste, die von Experten der Universität Innsbruck im Auftrag der mexikanischen Behörden analysiert werden, den verschwundenen Studenten zugeordnet werden konnten, blieb vorerst Spekulation. Aus Innsbruck waren bisher keine Informationen nach draußen gelangt, die Ermittler hatten sich angesichts der politischen Brisanz des Falles strikte Neutralität und Verschwiegenheit verordnet.
Dafür wird mehr und mehr zur Gewissheit, dass es wohl wirklich keine Hoffnung auf ein von den betroffenen Eltern herbeigeflehtes Wunder gibt. Die verschollenen Studenten sind tot. "Lebend sind sie gegangen, lebend wollen wir sie zurück", lautete eine der Parolen, die die Demonstranten in den vergangenen Wochen immer wieder auf den Straßen der betroffenen Unruheprovinz Guerrero und in anderen Landesteilen riefen.
Die Angehörigen und die Schule von Ayotzinapa hatten eigene Ermittlungen gestartet, weil sie den mexikanischen Behörden nicht trauten. Argentinische Experten, die unabhängig von den mexikanischen Behörden arbeiteten, unterstützten die Familien dabei. Sie konnten nun nach eigenen Angaben anhand der DNS-Spuren aus einem Zahn und einem Knochen die Überreste des jungen Mannes zweifelsfrei identifizieren. Sie bestätigten damit indirekt auch die Ermittlungsergebnisse der mexikanischen Generalstaatsanwaltschaft, die die betroffenen Familien bisher zumindest zum Teil anzweifelten.
Frau des Bürgermeisterssollte nicht gestört werden
Der Skandal, der Mexiko seit fast drei Monaten in Atem hält, hatte zu Massenprotesten und zu einer Ankündigung von Präsident Enrique Peña Nieto geführt, die Polizei reformieren zu wollen. Seit Bekanntwerden des Verschwindens der Studenten wurden in der Region allein drei Massengräber gefunden, deren Leichen zunächst nicht zuzuordnen waren.
Die Befürchtungen über ein grausames Ende der 43 verschwundenen Studenten, die laut Erkenntnissen Staatsanwaltschaft von Mitgliedern der Drogenbande "Guerreros Unidos" im Auftrag des lokalen Bürgermeisters von Iguala und seiner in den Drogenhandel verstrickten Ehefrau auf bestialische Weise beseitigt wurden, lassen sich nun erstmals auch mit handfesten Beweisen bestätigen. Bisher lagen lediglich Zeugenaussagen vor.
"Entsorgt" wurden "Los 43", wie die Gruppe in Mexiko genannt wird, demnach auf einer Mülldeponie. Von der lokalen Polizei festgenommen, weil sie eine Demonstration der Bürgermeistergattin stören wollten, übergeben von den "Sicherheitskräften" an die Mörder der "Guerreros Unidos". Jene Studenten, die bei ihrem Todestransport in zwei viel zu kleinen Viehtransportern nicht schon auf dem Weg zu ihrer Hinrichtung erstickten, wurden auf der Müllhalde erschossen. Anschließend wurde der Leichenstapel mit Diesel übergossen und angezündet. Was davon übrig blieb, packten die Mörder in Plastiksackerl und warfen diese in den benachbarten Fluss. Das Schicksal ist beileibe kein Einzelfall: Menschenrechtsgruppen schätzen, dass es mehr als 26.000 Menschen sind, die seit 2006 vom Erdboden verschwunden sind.
Schlecht für die Familien,gut für den Präsidenten
Für Mexikos Präsidenten Enrique Peña Nieto bedeuten die Meldungen vom Wochenende, so bizarr das klingen mag, eine Stärkung seiner Position. Die von den Bundesbehörden eingeleiteten Ermittlungen scheinen sich nun zu bestätigen. Das zuletzt stark erschütterte Vertrauen der Mexikaner in die eigenen Behörden äußerte sich in den Massenprotesten. Eine umfassende Aufklärung der Tat und eine Bestrafung aller Täter dürfte ein erster kleiner Schritt sein, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Dazu müsste allerdings auch die vom Präsidenten angekündigte Polizeireform erfolgreich umgesetzt werden.