EU und Lateinamerika wollen ihre wirtschaftlichen Beziehungen ausbauen.
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Brüssel. Für die Journalisten ist in der großen Eingangshalle diesmal kein Platz. Denn jener Bereich des Brüsseler Ratsgebäudes, in dem bei den regelmäßigen EU-Spitzentreffen Arbeitsplätze für die Medienvertreter eingerichtet werden, ist nun mit weißen Kojen vollgestellt. Dutzende Länderfahnen sind neben den Türen zu den Kämmerchen befestigt, in denen Sitzgruppen und Schreibtische platziert wurden. Es ist denn auch nicht der übliche Gipfel, zu dem die EU-Staats- und Regierungschefs vierteljährlich zusammenkommen. Vielmehr treffen sie ihre Amtskollegen aus Lateinamerika und der Karibik, was auf dieser Ebene etwa alle zwei Jahre passiert. Und da zu der zweitägigen Sitzung, die am heutigen Mittwoch beginnt, Vertreter von immerhin 61 Staaten erwartet werden, musste für die Delegationen zusätzlicher Platz geschaffen werden - in der Eingangshalle eben.
Die Zusammenkunft soll die Beziehungen zwischen den Kontinenten wieder stärken. Diese standen für die mit der Finanzkrise und Konflikten in ihrer Nachbarschaft beschäftigten Europäer in den vergangenen Jahren nicht unbedingt im Mittelpunkt. Und auch die Partnerstaaten hatten ihre jeweiligen Probleme zu bewältigen. Doch wollen beide Seiten die Zusammenarbeit wieder vertiefen.
Das Potenzial dafür ist zumindest aus wirtschaftlicher Sicht groß - auch wenn dies in der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt ist, was einen hochrangigen EU-Beamten von einer "versteckten Erfolgsgeschichte" sprechen lässt. Für die Länder Lateinamerikas und der Karibik ist die EU nämlich der größte Investor und der zweitwichtigste Handelspartner nach den USA. Der Wert der Direktinvestitionen der EU liegt dort bei fast 500 Milliarden Euro - und damit über dem in Russland, China und Indien zusammengenommen. Das Handelsvolumen zwischen den Partnern hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Im Vorjahr machte es knapp 210 Milliarden Euro aus.
Konkurrenz aus China
Um die ökonomischen Beziehungen weiter auszubauen, wünschen sich die Gipfelteilnehmer nicht zuletzt die Umsetzung bereits existierender Handelsabkommen. Die - teilweise schon überholten - Verträge sollen modernisiert und den jetzigen Verhältnissen angepasst werden. Enger vernetzen wollen sich die Partner auch im technischen Sinn: Eine direkte Glasfaserleitung unter Wasser soll die beiden Kontinente direkt miteinander verbinden. Bisher läuft der Internetverkehr nämlich über Nordamerika.
Offen ist noch, welche Fortschritte in den Verhandlungen über eine Freihandelszone mit dem Staatenverbund Mercosur erreicht werden können. Die Gespräche mit Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela laufen bereits seit mehreren Jahren. Die viertwichtigste Wirtschaftszone außerhalb der EU hat - wie Kuba und Bolivien - noch kein Handelsabkommen mit der Union abgeschlossen.
In der Zwischenzeit ist aber auch das Interesse Chinas an der Region und deren Rohstoffen gestiegen. Peking will in den kommenden zehn Jahren mehr als 210 Milliarden Euro in Lateinamerika investieren, vor allem im Energiesektor und in der Infrastruktur. Und während Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner vor einigen Monaten zu einem Spitzentreffen nach China gereist ist, bleibt sie dem Gipfel in Brüssel fern.
Dass China Europa in der Bedeutung als Handelspartner überholt, glaubt Benita Ferrero-Waldner dennoch nicht. Die österreichische Ex-Außenministerin und ehemalige EU-Kommissarin erhofft sich von der Zusammenkunft vielmehr neuen Schwung für das Verhältnis zwischen der EU und Lateinamerika. Dafür spreche, dass Europa als Investor "einen Mehrwert" bringe, erklärte die Präsidentin der EU-LAC-Stiftung, die den strategischen Dialog zwischen den beiden Kontinenten fördern will. Das Engagement Chinas hingegen beschränke sich oft auf Wertschöpfung aus Ressourcen, wobei kaum Jobs für Einheimische geschaffen werden, weil eigene Arbeitskräfte eingesetzt werden, meinte Ferrero-Waldner bei einem Pressegespräch.
Trotzdem unterstrich auch sie die Notwendigkeit einer Revitalisierung der Beziehungen EU-Lateinamerika. Beiden Regionen täte ein ökonomischer Aufschwung auch gut. Denn beide hätten im Vergleich zum Rest der Welt zuletzt an Wettbewerbsfähigkeit verloren.