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Vernetzte Verkehrsmittel

Von Stefan May

Reflexionen
Ein Zukunftstraum unter vielen. Grafik: John Holcroft/Ikon Images/Corbis

In Zukunft wird das Smartphone zum wichtigsten Instrument, um die eigene Fortbewegung effizient zu organisieren. Erste Ansätze sind schon deutlich zu erkennen.


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In einer noblen Location, schneeweiß designt, mitten in Berlin, sitzen der Chef von Daimler Financial Services und der In-frastruktur-Vorstand der Deutschen Bahn auf dem Podium und stellen den Medien ein neues gemeinsames Produkt vor: Ab sofort können über die App jedes der beiden Unternehmen Car-Sharing-Fahrzeuge auch des jeweils anderen gebucht werden. Mit mehr als 7000 Fahrzeugen ist dadurch das größte Car-Sharing-Netzwerk Deutschlands entstanden. "Wir erleben 20 bis 30 Prozent Zuwachs auf solchen Plattformen", begründet DB-Vorstand Volker Kefer das Engagement der Bahn abseits der Schiene.

Die beiden Marktführer im deutschen Car-Sharing ergänzen sich auf diesem Feld: Während die zweisitzigen Car2Go-Smart von Daimler fast immer spontan für kurze Zeiten und Wege genutzt werden, um dann irgendwo in der Stadt wieder abgestellt zu werden, ist es bei der Flinkster-Flotte der DB genau umgekehrt: größere Autos, längere Buchungszeiten und Distanzen, Rückgabe an festen Stationen. "Was wir hier tun, ist ein weiterer Beweis, dass Mobilität und Smartphone zu unzertrennlichen Zwillingen geworden sind", sagt der Geschäftsführer der dafür zuständigen Daimler-Tochter moovel, Robert Henrich.

Fliegende Autos

2020 werde die Hälfte der Weltbevölkerung Smartphones benützen - und sich damit die eigene Fortbewegung organisieren. Mobilität in der Zukunft wird sich gravierend von jener unterscheiden, wie wir sie heute gewohnt sind. Diese Zukunft wird, glaubt man Experten, schon bald anbrechen, bereits in wenigen Jahren: Dann werden wir fliegende Autos benützen, nicht mehr selbst lenken, und das Auto wird auch nicht mehr uns gehören. Im Regelfall werden Apps die Mobilitätskette für uns austüfteln und vorschlagen: Wann wir am besten Bus, Bahn, Sharing-Auto oder Sharing-Bike nehmen sollen, um von einem Ort zum anderen zu gelangen.

Menschen werden zu Wechselwählern bei ihren Mobilitätsplanungen. Das ist der Schluss, den Birgit Bohle, Chefin von DB Vertrieb, aus den aktuellen Trends zieht. Die Zeiten von "einmal Persil, immer Persil" sind ihrer Meinung nach vorbei. "Das Smartphone wird zum Lebensbegleiter. Das ermöglicht es, die Verkehrsmittel, die nur einen Klick voneinander entfernt sind, zu vergleichen", sagt sie beim 2. Symposium des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) zum Thema "Multimodalität" in Berlin.

Sharing-Angebote und E-Mobilität würden sich zum Milliarden-Geschäft entwickeln, und junge Unternehmen die etablierten Spieler jagen, erwartet die Bahn-Managerin. Big Data biete dabei vielfältige Chancen für die Mobilität der Zukunft.

Wie Multimodalität auf diese Weise in der Praxis funktioniert, zeigen einige Beispiele: Die vor fünf Jahren gegründete flinc AG etwa verbindet auf ihrer Plattform private Nachfrager und Anbieter von Fahrten. 250.000 Nutzer sind dort registriert. Anders als Mitfahrzentralen tastet flinc aber die gesamte Reiseroute, also auch Teilstrecken, ab. Im Schwarzwald gibt es eine Kooperation mit der DB, in der Schweiz werden flinc-Fahrten auf der Postauto-App angezeigt.

Im Sauerland hingegen geht man noch eher traditionell vor, vernetzt die Bevölkerung nicht virtuell, sondern real, mittels ehrenamtlicher Mobilitätspaten, die die Menschen ansprechen und über die Angebote des öffentlichen Verkehrs aufklären.

Mehrere Verkehrsunternehmen probieren derzeit multimodale Plattformen aus: In Hamburg hat man das gesetzte Ziel aufgrund zu geringer Nachfrage bisher nicht erreicht, gibt man beim Betreiber Hochbahn zu. Deshalb soll die Plattform "switchh" im Herbst von den Stammkunden auf alle Kunden ausgedehnt werden. Der Rhein-Main-Verbund hingegen hat eine App mit Namen Dynamo entwickelt, die eine "Schutzengelfunktion" während der gesamten Reisekette wahrnimmt, also an Abfahrten erinnert und beim Umsteigen navigiert.

Österreichische Ideen

Das Forschungsprojekt "smile" der Wiener Linien, an dem 15 Mobilitätsanbieter in der österreichischen Hauptstadt teilnahmen, wird hingegen bereits evaluiert. "Ein anerkanntes Ticket für alle wäre notwendig", sagt Projektleiter Reinhard Birke beim VDV-Symposium. "Auch die Plattformen, die hier vorgestellt werden, werden sich vernetzen. Das wird die größte, eigentliche Aufgabe: diese Informationen untereinander auszutauschen."

Die Österreichischen Bundesbahnen waren ebenfalls an dem in Berlin vorgestellten Smile-Projekt dabei, haben aber mit einer Handvoll Partner auch ein eigenes Pilotprojekt zur Multimodalität namens eMorail entwickelt: Dabei werden Pendlern Elektroautos im Sharing-Verfahren für die letzte Meile vom Bahnhof zum Wohnort und zurück zur Verfügung gestellt. Den Nutzern bieten die ÖBB ein Smartphone-App für alle Informationen rund um die Zugverbindungen und das E-Mobil an.

Eine großflächige Vernetzung der Mobilitäts-Information bietet die "Verkehrsauskunft Österreich", hinter der die Asfinag mit ihrem Routenplaner steht. Dieser intermodale Routenplaner für das ganze Land wird inzwischen von fast allen Verkehrsverbünden genützt. Einer der letzten ist jener der Steiermark: Man sei dabei, das System derzeit umzustellen und werde demnächst auf die Verkehrsauskunft Österreich umsteigen, heißt es dort. Jedem einzelnen Verkehrsmittel-Betreiber stehe es frei, dieses österreichweite Portal ebenfalls zu nutzen - wie es etwa die Wiener Lokalbahnen schon tun.

Die Vereinfachung für den User dabei: Ob er die Verkehrsauskunft Österreich oder die Seite eines Verbunds, beziehungsweise dessen App aufruft, es erscheint stets die gleiche Maske, lediglich in den Farben und mit dem Logo des jeweiligen Anbieters. Immer lässt sich auswählen zwischen Bus und Bahn sowie zwischen PKW und Rad. Damit wird die Fahrplansuche in Österreich gleichsam standardisiert.

Generell wird die Zukunft nur mehr eine einzige Anmeldung und eine einzige Abrechnung am Handy für die geplante Reise kennen. "Der Kunde sagt uns schon ewig, dass er an solchen Mobilitätsplattformen Interesse hat", sagt Till Ackermann vom VDV. Den Verkehrsunternehmen drohe deshalb eine dreifache Gefahr, sollten sie darauf nicht reagieren: der Verlust der Kundenschnittstelle, die Reduktion auf die Funktion des Transporteurs und der Kontrollverlust über die Prozesskette.

"Die Schiene und die Linienbusse werden es schwer haben", meint Alexander Hars vom Software-Entwickler Inventivio im Hinblick auf die selbstlenkenden Autos der nahen Zukunft. "Der Nahverkehr wird sich tiefgreifend verändern, denn der autonome Verkehr wird in fünf Jahren hochkochen." Bei hohen Verkehrsströmen werde zwar auch in Zukunft der Schienenverkehr erhalten bleiben, aber: "Es ist schade, weil die Bahn prädestiniert gewesen wäre für autonome Züge", sagt Hars. Dies wäre einfacher umzusetzen gewesen als auf der Straße. "So ist die Chance verpasst worden, den Bahnverkehr deutlich attraktiver anzubieten."

Ähnliche Prognosen für eine Revolution im Verkehr entwickelt Oleksii Korniichuk von Arthur D. Little. Car-Sharing würde schon allein aufgrund von Innovation wachsen und zu einer Form des Life-Style werden. "Wir warten auf Car-Sharing 3.0 - und darauf, wenn es zum Massenmarkt geworden ist", sagte er. Der Treiber könnte die Multimodalität sein, denn sie würde die neuen Fahrzeuge stützen, nicht aber den motorisierten Individualverkehr.

Auto ohne Lenkrad

Solche neuen Fahrzeuge sind etwa Googles Vision eines selbst fahrenden Autos ohne Lenkrad und Pedale. Das Hyperloop Alpha-Projekt von Space X plane Personenverkehr mit Wagen in Vakuum-nahen Tunnels mit Überschallgeschwindigkeit, bei 1220 Stundenkilometern. Komplett autonom würden auch fliegende Autos funktionieren, deren Kommerzialisierung bereits bis 2017 geplant sei, sagt Korniichuk. All diesen Projekten sei gemeinsam, dass sie keine Besitzmodelle wie der Privat-PKW mehr seien. Deshalb ist eine reibungslose Verknüpfung von Car-Sharing und Bike-Sharing und dem Öffentlichen Personennahverkehr notwendig. Trotz einiger Risiken bieten immer mehr Verkehrsunternehmen und Stadtverwaltungen Mieträder an. So auch der Verkehrsverbund Rhein-Neckar: Letztes Jahr hat er sich für Nextbike als Betreiber entschieden. "Nach fünf Jahren muss das System fahren, bis dahin gibt es abschmelzenden Zuschuss", sagt Volkhard Malik vom Verkehrsverbund. "Wer glaubt, dass er mit Fahrradverleih Geld verdienen kann, der irrt sich gewaltig."

Das Privatunternehmen Nextbike hat mit telefonischer Buchung begonnen und sich nach eigenen Angaben "sehr dynamisch" entwickelt. Heute würden die meisten Projekte mit App angeboten, samt integriertem Bordcomputer. "Wir würden gerne überall Fahrradverleih betreiben, aber es muss sich lohnen", sagt Vertriebsleiter Marco Weigert. In Neuseeland sei das erste Projekt mit Crowdfunding auf die Beine gestellt worden. "Die Kommune will, dass die klugen Köpfe nach dem Studium dort bleiben, da macht Mobilität viel aus", so Weigert. "Das Rad ist da eine Riesensache und hat einen großen Effekt auf die Stadt."

Die Stadt als Treiber

Der Platzhirsch Deutsche Bahn ging 2000 in München an den Start. Dann folgten Berlin, Frankfurt und Köln. Auch hier lief die erste Version mittels Anruf bei Entleihe und Rückgabe. Das kostete Geld und änderte sich bei Bike-Sharing in Stuttgart und Hamburg. Letzteres wurde zum Flaggschiff der DB-Fahrradvermietung, mit 2,5 Millionen Fahrten im Vorjahr, also vier Fahrten pro Rad und Jahr. "Da wird es noch richtig krachen, denn dort bauen wir aus", sagt Frank Breyer von DB FuhrparkService.

Der Erfolg mag daran liegen, dass die Mieträder in Hamburg unter der Marke "StadtRad" angeboten werden. "In Berlin haben wir ein Problem, weil das DB-Logo vorne drauf ist", gibt Breyer zu. Für ihn ist aufgrund "extremer Kosten im Aufbau, aber auch im Betrieb" eines klar: "Die Stadt muss der Treiber sein und Voraussetzungen schaffen. Es kann nur eine Finanzierung aus Einnahmen des Vermietens, aus Sponsoring und Beiträgen der Stadt sein."

Das Bild des am Sonntag hingebungsvoll sein geliebtes Vehikel waschenden Bürgers ist jedenfalls passé. Das Auto ist kein Prestigeobjekt oder verlängerte Machtsphäre eines meist männlichen Selbstverständnisses mehr. Die junge Generation entscheidet rational, welches Verkehrsmittel das im jeweiligen Fall günstigste ist. Besitz spielt da keine Rolle mehr. Darum boomen Bike- und Car-Sharing derzeit so stark: "2030 könnte das Potential bei 30 Prozent in den Innenstädten liegen", vermutet DB-Infrastrukturchef Kefer anlässlich der Vernetzung der eigenen Car-Sharing-App mit jener von Daimler.

Stefan May, geboren 1961, lebt als Jurist, Journalist und Autor in Berlin und Wien und schreibt regelmäßig Reportagen fürs "extra".