Zum Hauptinhalt springen

Verordnung erst nach sicherer Diagnose

Von Rosemarie Kappler

Wissen

Leichtfertige Anwendung fördert die Resistenzbildung. | Hormonnachweis im Blut hilfreich. | Homburg. Akute Nasennebenhöhlenentzündungen gehören beim Hausarzt zu den häufigsten Erkrankungen, für die Antibiotika verschrieben werden. Obwohl der eitrige Ausfluss aus der Nase noch kein Beweis für eine bakterielle Infektion ist, verordnen einer Untersuchung der Uni Oslo zufolge 98 Prozent der Hausärzte in den USA ein Antibiotikum, in Norwegen 67 Prozent.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Nun haben Forscher der Uni Southampton gezeigt, dass bei den meisten Patienten auf die Gabe von Antibiotika gänzlich verzichtet werden könnte. Nur in besonders hartnäckigen Fällen würden diese benötigt. In der Praxis bedeutet das, erst einmal zuwarten, ob sich die Beschwerden nicht von alleine bessern. Denn noch gibt es keine Routine-Möglichkeit, einem Patienten anzusehen, ob seine Infektion schwer genug ist, um einen frühen Einsatz einer der schärfsten Waffen der Medizin zu rechtfertigen.

Rund 80 bekannte Mittel

Vorsicht ist angeraten, weil leichtfertige Anwendungen, falsche Verordnungen und Resistenzbildungen die Wirksamkeit der rund 80 bekannten Antibiotika zu schmälern drohen. Der Verordnung von Antibiotika muss eine gesicherte Diagnose vorausgehen, fordern Ärzte daher. Ein einfacher Bluttest könnte zeigen, ob die Einnahme tatsächlich nötig ist, und so die Spreu vom Weizen trennen helfen.

Prof. Beat Müller, leitender Arzt am Universitätshospital Basel gilt international als ausgewiesener Experte für das Hormon Procalcitonin. "Bakterien produzieren Giftstoffe, die im Rahmen der Entzündungsreaktion den Körper dazu anregen, dieses Hormon in höherer Menge zu produzieren als bei viralen Infekten. Bei einem stark erhöhten Procalcitoninwert ist deshalb die Einnahme von Antibiotika erforderlich, bei einem niedrigen Wert nicht", erklärt das Vorstandsmitglied der Initiative "Gezielt ist Sicher", einem Zusammenschluss von überwiegend deutschen Experten, die gegen die drohende Gefahr von Resistenzen Sturm laufen.

Müllers bisherige Procalcitonin-Studien haben Folgendes gezeigt: Durch die Hormonbestimmung kann die Zahl der Verschreibungen nahezu halbiert werden. "Auch in der Hausarztpraxis, in einem Gebiet mit schon sehr tiefen Antibiotikaverschreibungen, können nochmals über 70 Prozent des Antibiotika-Verbrauchs eingespart werden, wenn der Test konsequent zur sicheren Diagnose eingesetzt wird".

Bislang werden die Kosten für den Test aber nicht von den Kassen übernommen. Rund 25 Euro werden im Rahmen der IGEL-Leistungen (Individuelle Gesundheitsleistungen) fällig, wenn man auf Nummer sicher gehen will. Der Vorteil ist aber, dass Nebenwirkungen durch falsch verordnete Antibiotika vermieden werden. Haupteffekt ist nach Auffassung von Experten der, dass langfristig ein Rückgang der Resistenzen möglich wird.

Immun durch Mutation

Je mehr sich Bakterienstämme mit Antibiotika auseinandersetzen, umso größer ist die Gefahr, dass sie durch Mutationen immun gegen die Substanzen werden. In Ländern, in denen Antibiotika weniger großzügig verschrieben werden, gibt es auch weniger Resistenzen. "Zu einem umsichtigen Antibiotikaeinsatz und nachhaltigen Umgang mit dieser Ressource gibt es keine Alternative", mahnt deshalb auch Prof. Winfried Kern, Infektiologe am Universitätsklinikum Freiburg. Und Prof. Tobias Welte, Pneumologe an der Medizinischen Hochschule Hannover ergänzt: "Die Reduktion des Antibiotikaverbrauchs durch verbesserte diagnostische Möglichkeiten ist dringend erforderlich. Zielrichtung ist dabei vor allem der im ambulanten Bereich tätige Kollege, der sich häufig mit banalen Virusinfektionen auseinandersetzen muss und aus Sicherheitsgründen Antibiotika verabreicht, um die wenigen Fälle einer bakteriellen Bronchitis nicht zu übersehen."

www.gezielt-ist-sicher.de